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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 11 (1. Märzheft 1905)
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Grunsky, Karl: Heitere Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0779

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Traulichen. Vieles hat er als Kand, als Knabe geschrieben, nnd Kind
ist er ja zeit seines Lebens geblieben. Ein Kind kann wohl manches
erleben, doch kann es uns schwerlich musikalisch erschüttern: da wird
seine ganze Unschuld offenbar. Jn den frühen Symphonieen, in der
ersten Kammermusik Mozarts spielt die herzigste Musik der Naivität.
Aehnliches winkt höchstens bei Couperin und einigen andern Fran-
zosen. Jene Jugendwerke Mozarts zeigen eine Seele vor der tiefen
Erregung; wo dann später in den reifen Meisterwerken Leidenschaft
aller Art durchbricht, sind wir ungewiß, von was wir mehr ergriffen
werden: ob von der Leidenschaft selber oder von ihrer unschuldigen Um-
gebung. Besonders möchte ich aus die vierhändigen Klaviersonaten,auf-
merksam machen. Die Finale der beiden ersten sind eine Art Wurstel-
prater-Musik, ausgelassen und toll: aber beim Schlußsatz der vierten
weiß man nicht, ob man weinen oder lachen soll; schließlich ist man
doch gerührt, besonders von den kindlichen Nachahmungen der Stimmen.

Aber sind wir nicht mitten in die Musik der Erregtheit hinein-
geraten? Wir glauben nicht. Man kann diese Musik Mozarts lieben,
sich ihr hingeben, aber sie verbraucht von unserer Kraft nichts oder
wenig, trifft keinen unserer Zündstoffe, daß er zerspränge. Mit welch
andern Empfindungen, mit welcher Durchschütterung der Seele lauschen
wir einem Adagio von Beethoven! Der Uebergänge gibt es freilich
sehr feine: gehört Schuberts unsagbar schönes vierhändiges ^-äur-
Rondo mit seinem beruhigenden Liebreiz noch zur komischen Musik
oder beseeligt es uns, daß die Ruhe zur leidenschaftlichen Wonne wird?
Der eine entscheidet so, der andere anders. Jedenfalls suchen die aller-
meisten Menschen nicht erregende Musik; es wird gewiß mehr komische
als ernste Musik aufgeführt. Die alten Shmphoniker und Quartettisten
haben die Folge der Sätze weise angeordnet und dem Finale die Flucht
vor dem Ernst aufgespart. So konnten sie die Zuhörer „gereinigt" und
erleichtert, d. h. angeregt und belustigt entlassen. Von jeher galt es
ja für den schönsten Beruf der Musikanten, Grillen und Sorgen zu
verjagen. Aennchen im Freischütz hat das musikalisch sehr fein auf den
Begriff gebracht, auch in der gutmütigen Romanze.

Das alles ist aber noch lange keine Musik in dem Sinne, der
dem lachhaft Komischen entspräche; davon gibt es weit weniger
Beispiele als man meint. Nach diesem Vogel kann man lange ver-
geblich jagen. Man glaubt oft, in der komischen Oper wirklich spaßige
Musik zu finden, derweil das eben lustige, leichte oder herzige, auch
seichte Musik ist. Worüber man lacht, das ist in der Regel die Komikj
der Worte, nicht zugleich die zugehörige Komik der Musik. Um den
Ausdruckswert irgend einer Gesangmusik festzustellen, braucht man nur
zu untersuchen, was diese Musik ohne Worte wirklich ausdrücke; so
muß man auch die Probe machen, ob die Musik einer Oper, eines
Liedes ohne Worte znm Lachen reize. Das Mißtranen gegen Vokal-
musik rührt davon her, daß der Ansdruck mit Beihilfe der Worte, der
Dichtung müheloser eingeschmeichelt und eingeschmuggelt wird. Zuletzt
wähnt man gar, damit sich Tonkunst und Dichtkunst verbinden können,
müssen beide an einigen Gliedern lahm sein, als ob von einer solchen
Verkrüppelung gesnnde Früchte zu erwarten wären. Nein, wir wollen
auch im Komischen die Sprache den Tönen selbst zuschanzen, wollen

l. Märzhep t905 7^9
 
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