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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 12 (2. Märzheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Der Dom
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0865

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aber auch in Deutschland sind die Ansätze zu echtern, protestantischem
Kirchenbau schon da. Darnit war dem Berliner Domban seine Auf-
gabe gestellt. Unter Ueberwindung katholischer Reste galt es, das
protestantische Gotteshaus aus seinen Verkettungen mit dem zu lösen,
was für unser Bekenntnis tot ist, und mit den hier verfügbaren, ge-
waltigen Mitteln den neuen Typus aus den treibenden Gedanken zur
ragenden und zeugenden Tat zu entwickeln. Den Kirchenbau galt
es zu schafsen, der durch sein Vorbild an dieser Stelle überall im auf-
blickenderl Protestantischen Land wie mit einem Schlage den immer
noch katholischen Kirchenbau endlich auch seinerseits reformieren konnte.
Dem Rufe zur Mitarbeit an so erhabener Ausgabe wäre die ganze
Baukunst der ganzen protestantischen Welt mit Jubel gesolgt. Aber
man rief sie gar nicht an, denn die beiden Kaiser, die hier zu ent-
scheiden hatten, bezweifelten ihre eigene Zuständigkeit zur Lösung auch
solcher Probleme nicht. Die Gelegenheit ward verpaßt, nein, die Auf-
gabe ward gar nicht gesehen. Während man von der Hauptkirche
der protestantischen Christenheit sprach, ward ihr Bau als eine private
Sache der preußischen Hoskunst betrieben.

Wie der Bau dasteht, hat er von eigentlich Protestantischem in
allem Wesentlichen nichts. Hören wir des zum kundigen Zeugen
das Hauptblatt der Katholiken an. , Kein Mensch", schrieb die »Köl-
nische Volkszeitung«, „würde von selbst auf den Gedanken kommen,
ein protestantisches Gotteshaus vor sich zu haben. Der Eindruck einer
k'atholischen Kirche tritt noch verstärkt im Jnnern des Domes hervor."

Kommst du bis zur nüchsten Nähe heran, dann allerdings lösen
sich wie bei einem Vexierbild die Heiligen und die Engel in Refor-
matoren und Tugendgestalten aus, — das ist das „Protestantische"
im Dom. Aber nicht einmal Deutsches, nicht einmal Nordisches zeigt
diese Kirche, nicht einmal die Sprache der Heimat klingt in ihren
Formen, die doch aus tausend alten und neuen Gotteshäusern zu
tausend nordischen Gemeinden mit Millionen Herzen spricht. Der
protestantische Hauptdom des Deutschen Reiches redet italienisch. Ge-
nauer bestimmt: er redet die Sprache der römischen Gegenresormation.

Und wie redet er sie? Nehmen wir die Tatsache als gegeben
hin, so ungeheuerlich sie ist, und verweilen wir einige Minuten bei
der viel minder wichtigen Frage nach der im engeren Sinne künst-
lerischen Gestaltung und Durchsührung. Der Leser wolle dasür einige
Abbildungen zur Hand nehmen, die ja alle Zeitungen von diesem
Bau verbreitet haben, schon sie zeigen das Wichtigste mit genügender
Deutlichkeit. Sprechen wir nicht davon, was ein Genie, sprechen wir
auch davon nicht mehr, was uns ein Wettbewerb vielleicht hätte
schaffen können, der die Besten der Gekannten und der Ungekannten
gespornt hätte. Sprechen wir von keinem Vielleicht mehr, wie sehr
es uns auch als Pslicht erschienen wäre, bei solcher Ausgabe zur
Erreichung des Höchsten alle Möglichkeiten zu versuchen. Auch bei
dieser Bescheidung noch bleibt vor andern Fragen eine: wie konnte
man nicht beachten, was hundertfältige Ersahrung der Kunstgeschichte
und beweisbare Lehre heut jedem Ansänger schon sagen, der nicht
schaffen, nein, der nur lernen kann. Das mindeste war doch wohl,
daß das Gegebene wenigstens wirke als etwas Großes und Ruhiges.



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