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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 12 (2. Märzheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0876

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unumwunden mehr als einmal: ja, es ist besser geworden, und ich freue
mich, daß ich's erlebt habe, was die neue Zeit über die alte hinaus er-
worben hat: die politische, die wirtschaftliche Krästigung, das Reich. Und
die geheime Triebkraft dieser Entwicklung: die geistige Emanzipation, die sitt-
liche Manserung in allen Schichten, die vermehrte Solidität. Das war
beim Ueberblick uber's ganze Jahrhundert gesagt, und ich glaube, daß es
im großen ganzen stimmt. Die jüngsts Vergangenheit mit ihrem dekorativen
„Schmiß" wollte auch dem alten Fontane nicht recht gefallen. Sein „Stech-
lin", so wenig er grämelt — kopffchütteln muß er denn doch. Aber er
tnt's mit Maß und nie ohne Zuversicht. Er kennt und fühlt das Gute
zu gut, als daß er's verleugnen sollte, wenn es eine Weile im Verborgenen
schafft. Es wird ja wohl auch in guten Zeiten nicht von jedermann auf
der Heerstraße gefehen und genützt.

Nun ist es merkwürdig, daß Fontane in den Briesen an seine Familie*
auch als junger Fontane, als Gatte zu Anfang der Dreißiger eigentlich so
sehr anders nicht erscheint, denn als der jugendlich liebenswürdige Greis,
der er mit siebzig Jahren war. Es gibt Leute, von denen man — meist
nicht zu ihrem Vorteil — behauptet, sie feien alt auf die Welt gekommerr.
Das trifft bei Fontane zu, abgefehen vom Unvorteilhaften, denn die heitere
Ueberlegenheit, mit der er Menschen und Verhältnisse zu nehmen weiß,
das snvoir Lnirs kleidet den jnngen Mann, den Journalisten, nicht minder
gut als den alten Herrn, den Schriftsteller, den Poeten. Das unverwüstlich
elastischs Temperament des Gascogners, stilisiert durch einen bürgerlich aristo-
kratischen Schliff, durch eine nicht selten edelmännische Grazie, über
die man bei diesem märkisch-pommerischen Kleinstadtkinde einigermaßen er-
staunt sein darf. Wo hat er's her? Er, der Apothekersohn, der gelernte
Apotheker. Vom märkischen Landadel ans der biederen Epoche des geruhsamen
dritten Friedrich Wilhelm etwa? Selbst wenn er's dorther hätte beziehen
können, was immerhin zu bezweifeln ist — ganz echt imprägniert so was den
Menschen niemals, er kommt, wenn er es weit bringt, immer doch nur zur
verräterischen Marke „echt imitiert". Nein, es war „Fonds", natürlicher
Fonds einer reichen und fein organisierten Persönlichkeit, was Fontane so
„scharmant", so vollendet geistvoll plaudern ließ, in Jugend und Alter,
von London aus wie von Hankels Ablage. Und über das scheinbar Trivialste
fast noch besfer, noch mehr heiter und erleuchtend, als über das ganz
Ernste, Schwere und Bedeutende; obwohl dies doch keineswegs außerhalb feiner
Kreise lag. Nur das Leidenschaftliche, das lag ihm nicht, und drum fehlte
ihm auch zeitlebens der „Sinn für Feierlichkeit" ebensosehr wie der für
leidenschaftliche Anteil- oder gar Parteinahme.

Scharmant — ein etwas altmodisches Wort. Bei diesen Briefen fällt
es einen: so ein, und auch, daß es von „estnrms" abstammt. Vielleicht paßte
für Geist besser ssxrit, wenn dieser Fontanesche Geist nicht doch fchon eine
gute Gabe Spreewasser zur Taufe des Franzosenfprößlings mit der leider
deutschen Vorliebe für Fremdwörter mitbekommen hätte. Alfo „Jeist?" Nein,
aber Geist in gerader Abstammung von 68prit, und Jeist obendrein, gutes
altes Berliner Gewächs; beides hübsch weltlich gemischt und weltmännisch
gebunden — das ergibt vielleicht Gehalt und Form der Fontaneschen inneren
Mischnng. Wenn ich an den Vater denke, wie er ihn in den „Kinderjahreu"

* Zwei Bände. Berlin lAOT F. Fontane u. Co.

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2. Ulärzheft lst05
 
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