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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 2 (Novemberheft 1931)
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Picht, Werner: Verstehen inter nationes
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0116

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den Waffen des Wissens begegnen. Stnnmungsmäßige, aus Erlebms-
SchichLen siammende Gegenbewegungen, wie sie eiwa in den Auiarkie-
iendenzen der naiionalsozialisiischen Wirischasis- und KnliurpoliLik sich
äußern, sind ebenso aussichislos wie verhängnisvoll.

Ein von der Vernunsi regulieries Ilrteil: es isi eine Schwäche des Deui-
schen, daß er nichi nur versuchi isi, vor dem „Erlebnis" sein Wissen über
Bord zu wersen, sondern ihm den Einbruch.in sein UrLeil zu gesiaiien, ia,
daß er sich darauf noch eiwas zuguie Lui. Welche Vbrheerungen dicse
Weigung in der deuischen AußengoliLik angerichtei hai, haben wir am
eigenen Leibe ersahren. Jn diesem Zusammenhang isi darauf hinzuweisen,
daß das „Versiehen", von dem die Rede war, mii der Urteilsbildung als
VorausseHung poliiischen Handelns weniger zu Lun haL, als man denken
sollie. Es isi nichL ihre VorausseHung, so wenig es die Vorans-
seHung der Versiändigung isi. Hai doch der Deutsche zu jenem Abenkeuer
der Seele mehr Besähigung als vielleichi jedes andere Volk, während gleich-
zeiiig seine Unsähigkeit zum poliiischen Urieil dieser seiner Gabe des Ver-
siehens direki proporiional isi. Die psychologischen Elemenie, deren der
Akieur aus der golitischen Bühne zur Besiimmung seines Handelns bedars,
sind höchsi grimitiv, ja ihre SimplizitäL isi eine VorausseHung seiner Ziel-
sicherheiL. Wüßie er mehr, er Laugie weniger sür sein Geschäsi.

Es bleibi ein Wori über das Ausland als BildungselemenL zu sagen. Ilnsere
KulLur isi ohne ZnLernaLionaliLäL uichL denkbar. Zm MiLLelalter sicherien
übernational gültige Lebens- und Denkformen der sührenden SchichLen, eine
iniernationale wissenschastliche Sprache und vor allem die übernaiionale
Großmachi der Römischen Kirche als Duelle und Regeniin alles geisiigen
Lebens die Verbundenheii unseres Kuliurkreises. Aber auch in der Folgezeii
sind die Grunderlebnisse der kuliurellen Entwicklung — Renaissance, Resor-
mation, Ausklärung —- an keine politischen Grenzen gebunden. Und auch
zur Zeii höchsier Eniwicklung dcr bürgerlichen Kuliur im 19. IahrhunderL ist
eine lebhasie Llnteilnahme an sremdem KulLurgui eine Selbsiversiändlichkeit
— durchaus nicht unier dem GesichLspunkL iniernaLionaler Versiändigung,
der unseren Väiern künsilich erschienen wäre, sondern als dankbar empfangene
Bereicherung des eigenen Besiandes. Diese Tradiiion drohi verloren zu
gehen, sie zerseHL sich zugleich mii jener bürgerlichen Kultur selbsi. Die
Folgen dieser EnLwicklung sind hier nichi zu untersuchen, aber es isi dar-
aus hinzuweisen, daß ein Bruch mii der Tradition der Iniernaiiona-
liiäi zugleich einen Bruch mii der europäischen Kuliur der Vergangen-
heii bedeuien muß.

Wir kehren uach diesem Rusblick aus ein reiches Feld der Beschästigung mii
dem Ausland außerhalb der „Versiehens"-Sphäre zu unserem Ausgangs-
punki zurück. Ienes Erlebnis, jenes Wunder, daß das Fremde sich uns
erschließi, isi weniger zugänglich, isi bedrohlicher, isi mii höherem Preis zu
bezahlen, als die össentliche Meinung und selbsi Berusene annehmen. Es hai
nichi die poliiische Bedeuiung, die man ihm zusprichi, weder als persönliche
VorausseHung siaaismännischen Handelns noch als HilssmiLiel, ja Voraus-
seHung der Versiändigung. Und auch als BildungselemenL ist es entbehr-
lich. Denn eine Bildung mii iniernakionalem Ausblick eignek sich in zwang-

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