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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1931)
DOI Artikel:
Diesel, Eugen: Grundsätzliches zum Thema "Wirtschaft"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0120

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steht die Tatsache einer praktisch grenzenlosen Produktion da. Sie mußte ja
die Menschen begeistern und den Anschein erwecken, als seien wir beliebig reich
geworden oder aus dcm Wege, es zu werden. Man wird sich enthusiastisch
bemühen, den Produktionsapparat unausgesetzt zu verbessern, ihn zu ratio-
nalisieren, seine Ertragskrast möglichst ins Unendliche zu steigern. Was ist
sortschrittlicher, als die menschliche Arbeitskrast auszuschalten, wovon schon
Aristoteles träumte?

Schritt für Schritt sind die Nkenschen in einen Zustand der Produktion hin-
eingeraten, der insgesamt seiner Struktur und Psychologie nach etwas voll-
kommen anderes darstellk als der srühere handgebundene Arbeitskreis. Dieses
neue, vom einzelnen Menschen abgelöste, auf Maschine und Kollektive be-
zogene Arbeitssystem hat sich im Lause weniger Iahrzehnte über den ganzen
Planeten ausgebreitet, und außerdem haben überaus geschwinde Verkehrs-,
Transport- und Nüchrichtennüttel eine universale Verzahnung des Produk-
tionsprozesses geschassen. Hiermit erreichte die Warenerzeugung und -vertei-
lung einen Grad der Verslüssigung und Vermehrbarkeit, die den bezeich-
nenden Eigenschasten des Geldwesens nichts mehr nachgibt. Die Pro-
duktionsphantasie kann gualitativ und quantitativ alles realisieren. Hier-
mit geriet die Wirtschast anch wiederum von der Spekulation her in
stärkere Bewegung. Wohin hat uns dies sich gegenseitig übersteigernde
Wechselspiel gesührt?

Aus der einen Seite sind die meisten Menschen der Möglichkeit beraubt wor-
den, selbständig eine Produktion in einigermaßen geschlossener Kette durch-
sühren und das Ergebnis einem praktisch und psychologisch durchsichtigen
Verrechnungssystem anvertrauen zu können. Ieder erscheint als Glied der
Gesamtmaschinerie, über die wiederum die sragwürdige Geldsunktion ge-
worsen ist. Produktionsayyarat wie Geldschleier saugen in jedem Augenblick
sämtliche Einslüsse der wirtschastlichen Welt in sich ans, sie sind in höchstem
Maße unkontrollierbar und konjunkturemysindlich gcworden. Die Wirt-
schast ist eine höhere Gleichung mit sehr vielen Unbekannten geworden. Der
Grundyrozeß darin aber ist solgender: jede vom Menschen her bestimmte
Strnktur ist zugunsten maschineller Bedingungen vernichtet und obendrein
konkurriert jedes Maschinengebilde gegen alle andern der Welt, wobei
wiederum alles ausgeboten wird, um aus dem Wesen der Maschine heraus
die Welt zu vereinheitlichen.

Zu allem Unheil besitzen wir keinen unzweideutigen Maßstab mehr sür das
Geld, das somit selbst kaum mehr geeignet ist, einen gnten Maßstab abzu-
geben. Alle Geldwerte, alle Warenwerte der Welt beziehen sich ja doch in
wirr kaleidoskopischem Spiel in jedem Augenblick auseinander. Es wäre
kindlich, anzunehmen, daß bei den zahllosen Wertumsormungen der unerhört
bewegten Wirtschast ein echter und gerechter Wertmesser sich immer wieder
durchsetzen müsse. Ze mehr der Geldbegriss sich abstrahierte, je mehr die
anschauliche Stabilität des handgebundenen Arbeitskreises erschüttert wurde,
um so siktiver, um so wahnvoller wurde das Geldwesen und erzeugte aus sich
heraus schließlich solche wahnsinnigen und doch ernst genommenen Vorgänge
wie eine Jnslation einerseits oder ein Verrotten begehrter Produkte anderer-
seits, weil „das Geld mangelt". Die Börsenzissern sind schließlich nichts

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