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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 2 (Novemberheft 1931)
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Le Fort, Gertrud von: Die Letzte am Schafott, [2]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0142

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ihre Vorsicht sei so peinlich gewissenhaft gewesen, daß niedrige Seelen zu
dem Verdacht gelangen konnten, sie habe gleich den Weltleuten für ihr
Leben gezittert. Sie sei sich auch über diese Vermutung klar gewesen, habe
aber niemals den Versuch gemacht, sie richtigzustellen.

Die kleine Sängerin Ducor freilich, zu der man sie im Laufe des Prozesses
übersiedeln ließ — sie duldete auch diese Sicherheitsmaßnahme ohne Wider-
spruch —, hat von Llnfang an behauptet, diese Vorsicht sei gerade das be-
sonders Heiljgmäßige an ihr gewesen. (Sie erinnern sich, daß Rose Ducor
auch später die Legende von dem Stigma am Halse ihres Gaftes verbreitete.)
Sie glaubte nämlich, der 2lbbe Kiener, ein alter elsässischer Priefter, den
sie damals gleichfalls in ihrem Hause verborgen hielt, habe ihr die Er-
haltung ihres Lebens zur Pflicht gemacht. „Mürie de l'Incarnation", so
drückte die kleine Ducor sich aus, „unterwarf sich damals gleichsam dem
Leben wie einer fchweren Buße." (2lh, Nose Ducor ahnte nicht, wie wahr
sie sprach!)

Sie erzählt dann, um ihre Ansicht zu bekräftigen, noch von jenem letzten
Gruß, den Marie de l'Incarnation an Madame Lidoine zu senden ver-
suchte. Es handelt sich um einen winzigen Papierftreifen, auf dem nichts
weiter ftand als die Worte:

„Gib mir die Märtyrerkrone oder gib sie mir nicht!"

Die kleine resolute Ducor, welche ihre Bewunderer in allen Kreisen hatte,
hoffte damals, einen der Gefängnisaufseher zu bewegen, ihn unter seinem
Ring verborgen zu übermitteln, allein vergeblich. (Meine Liebe, solche Pläne
gelingen nur iu Gefchichten, das wirkliche Leben ift weit erbarmungsloser.)
llnd so endet auch uach dieser Richtung hin Marie de l'Incarnations Opfer
in tiefem Schweigeu. —

Inzwifchen hatte man die Karmeliterinnen von Compiegne nach Paris in
die Conciergerie überführt: ihr Prozeß ging seinem Ende entgegen. Ich
habe Ihnen, meine Frenndin, seine Einzelheiten in einem früheren Brief
gefchildert; er ift ebenso kurz wie typifch. In solchen Fällen ftand das llrteil
von vornherein feft. Meine Liebe, ich fcheue mich nicht, es als eins der
dunkelften Blätter in der Gefchichte unserer Revolution zu bezeichnen. (Allein
das Chaos ift ja wohl nichk mehr Gefchichte; man war bereits hinter diese
zurückgegangen.)

2lm Tage des Feftes unserer lieben Frau vom Berge Karmel wurden die
sechzehn Karmeliterinnen vou Compiegne zum Tod durch die Guillotine ver-
urteilt. — Marie de l'Incarnation war in diese Berurteilung mit einge-
fchlossen. Ermessen Sie, meine Freundin, welchen Sturm der Ergriffenheit
diese Tatsache Ln ihrem Innern entfesseln mußte? Der Advokat Sezille
teilte sje ihr mit; er hatte die ebenso ehrenvolle wie hoffnungslose Pflicht
erfüllt, die sechzehn Karmeliterinnen zu verteidigen.

Marie de l'Incarnation glaubte — denn so war es offenbar fchon in Com-
piegne verabredet worden —, jhre Schweftern würden singend aufs Scha-
fott fteigen. Sie bat den 2lbbe Kiener inftändig, ihn begleiten zu dürfen; dieser
nämlich hatte es übernommen, den Berurteilten auf dem Wege zur Richt-
stätte die 2lbsolution zu spenden (mit der Carmagnole bekleidet unter den
johlenden Pöbel gemifcht, wie es in solchen Fällen allein möglich war!), aber
 
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