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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 2 (Novemberheft 1931)
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Le Fort, Gertrud von: Die Letzte am Schafott, [2]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0145

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er schlug chre Bitte ab. „Dies", so sagte Rose Ducor sgäter, „bedeutete für
sie deu Augenbljck des größteu Schmerzes."

„Mein Vater", rief sie in Tränen ausbrechend, „Sie beraubeu mich meiner
leHten Hoffnung!"

„Ünd welches ist Ihr Hoffen?" fragte er fast streng.

In diesem Augenblicke brach noch einmal ihre ganze Herrlichkeit durch —
es war ein Überwältigtsein, keine Empörung. „Ich wollte mitsingcn!" rief
sie. „2lch, könnte ich die LeHte, AllerleHte sein, die es am fchwersten hat!"

Er erwiderte: „Opfern Sie auch Ihre Stimme noch auf, meine Tochter —
opfern Sie sie der AllerleHLen."

Sie brach abermals in Tränen ans. „Mein Vater", rief sie, „meine Opfer
sind nicht angenommen, Sie wissen es! Ich werde die Verlassenste von
allen sein!"

„Gedenken Sie an die Verlassenheit Christi am L)lberg", entgegnete er sanft,
„und gedenken Sie an das Schweigen Marias."

In diesem Augenblick war ihr Widerstand zerbrochen. „Damals", so sagte
Rose Ducor später, „erfchien znm ersten Nckal in ihrem Gesicht jener eigen-
tümliche Ausdruck, bei dem man sich plöHlich vorstellen konnte, wie sie als
Kind ausgesehen hatte. Es war, als werde unter einer prachtvollen Barock-
restauration eine sehr zarte frühe Untermalung sichtbar." — Sie legte wort-
los die 2lrme über der Brust zusammen.

Von nnn an fchweigt Marie de l'Incarnation vollkommen — ihre Stimme
geht auf eine andere über.

Und nnn, meine Freundin, sind wir bei der eigentlichen Frage Ihres Briefes;
sie galt „der rührenden Stimme der jungen Blanche de la Force" — so drück-
ten Sie sich ans.

Monsienr Sezille bat mich an jenem Tage, auf der Place de la Revolution an-
wesend zn sein: es handelte sich darum, die mntmaßliche Identität Blanches
mit einer früheren Nvnne festzustellen, welche, wie der 2ldvokat erfahren
hatte, die Damen der Halle bei der Hinrichtung der Karmeliterinnen von
Comgiegne unter das Schafott zu führen beabsichtigten. (Wahrfcheinlich wie-
derum eine SchuHmaßnahme!) 2lber fürchten Sie nicht, meine Freundin,
daß ich Ihnen jeHt den Anblick der blutigen Guillotine zumute! Meine
Liebe, ich ertrage ja selbst nicht den Anblick dieses entseHlichen Werkzeugs
— wollen Sie mir glauben, daß ich noch eher fähig wäre, einen lebendigen
Henker am Werk zu sehen, einen Menfchen, der den Mnt hat, selbst das
Schwert zu führen, eine Hand von Fleifch und Blnt, die wenigstens weiß, wenn
sie das EntseHliche vollbringt! Man soll das Leben nicht durch die Mafchine
zermalmen! Indessen gerade dies ist ja das Symbol unseres Schicksals: ah,
meine Liebe, die Mafchine unterfcheidet nichts, sie verankwortet nichts, ihr
graust vor nichts, sie rührt nichts, sie stampft gleichmütig nieder, was man ihr
bringt, das Edelste und Reinste wie das Berbrecherifchste — wahrhaftig, die
Mnfchine ist das würdige Organ des Chaos, gleichsam seine Krone, getragen
von!der Begeisterung einer seelenlosen Masse, für die es kein göttliches „Es
werde!" mehr gibt, sondern nur noch das satanifche „Man vernichte!"

Ich stand mitten im Gedränge des johlenden Pöbels; nie, meine Liebe, habe
ich die völlige Hoffnungslosigkeit unserer Lage so verzweifelt emgfunden
 
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