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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1931)
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Frankreich in Indochina, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0149

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mehr; er kann die alten Jnschriften seiner heiligen Stätten nicht mehr lesen. Genau
tvie in Elsaß-Lothringen wird die Theorie der rücksichtslos zu opsernden Llbergangs-
generation ausdrucklich aufgestellt.

Das höhere Schulwesen ist den Eingeborenen so gut toie verschlossen. 2 höhere
Schulen auf 20 Millionen Einwohner halten den Eingeborenen die nach Dersorgung
der europäischen Kinder übrigbleibenden wenigen Plätze osfen — aber nur denjenigen,
welche von klein auf französisch sprachen, da die anderen, bis sie, um das nachzuholen,
die erforderlichen Schulen durchlaufen haben, zu alt sind, um dort Aufnahme zu
finden. Die sogenannte Universität in Hanoi wird von allen Kritikern mit bitter-
stem Hohn bedacht. Sie ist in der Tat nur eine auf niedrigstem Niveau stehende
Abrichtungspresse für eingeborene Unterbeamte, die sich bei der Aufnahme verpflich-
ten müssen, 10 Jahre dem Staat zu dienen, bei Z—6mal niedrigerem Gehalt als
die Europäer, versteht sich. Wer sich die Reise nach Paris leisten kann, findet dort
seinen Berechtigungsscheinen die wirklichen Universitätsstudien verschlossen, und viele
beziehen dann ganz ungeeignete Privatinstitute oder verkommen mangels jeder Arbeit
überhaupt. Und wer wirklich mit einem Universitätsdiplom in die Heimat zurück-
kehrt (man hat ausgerechnet, daß der Annamit es bestenfalls mit ZZ Jahren erwev-
ben kann), muß erst noch zu der Einsicht gelangen, daß er als Nichtnaturalisierter
nicht den geringsten Anstellungsanspruch besitzt. Er soll eben Handarbeit leisten,
meint Nanlande. Ein recht bezeichnendes Bild entwirft Roubaud von der Laufbahn
eines Franzosen und eines Emgeborenen, welche zusammen auf dem Lyzeum ihre
Studien machten. Der erste fiel durchs Baccalaureat, der zweite bestand eS mit „gut".
Beide treten in die Postverwaltung ein und finden sich auf demsclben Postamt wieder,
der Abiturient als Briefmarkenverkäufer, der Durchgefallene als „reeeveur", als
sein Vorgesetzter. So entsteht aus der engen Beschränkung, die dem glühenden Bil-
dungsdrang der Eingeborenen entgegengesetzt wird, eine große Schicht von Halb-
gebildeten, welche auch Grenzen, die vielleicht in ihrer Begabung selbst lägcn, restlos
Frankreich zur Last legen.

Bei den Bildungsfragen hat natürlich die (hier fast allein vorhandene k a t h 0 l i-
s ch e) Mission ein Wort mitzureden. Über dieses Kapitel können wir nur mit Vor-
behalt berichten. Diejenigen Kreise in Frankreich, welche überhaupt eine Kritik an
der Kolonialpoliti'k erheben, sind Angehörige der Linken, welche unabänderlich
antiklerikal ist. Nun wissen wir aber, daß der französische Antiklerikalismus einer
der stumpfsinni'gsten Geisteszustände ist, von denen die Dölkerpsychologie weiß. (Man
verbot z. B. aus antikirchlichem Doktrinarismus einem Geistlichen, der sein Leben
den Aussähigen Jndochinas geweiht hatte, unter ihnen zu wohnen.) So geben wir
also, was unsere Quellen von der Beihilfe der Mission bei der Mißhandlung (gndo-
chinas reden, hauptsächlich a titre cloearnknt wieder — wobei wir allerdings
nicht verhehlen, daß uns in diesen Kritiken ein berechtigter Kern zu stecken scheint.
Zweifellos haben sich die Missionen in (^ndochina erheblich zu weit mit Kapital, Jn-
dustrie, Nationalpolitik, Militarisnius und Rassenvorurteil eingelassen, um außer-
halb der Fronten bleiben zu können. Das ist auch sonst bei fast allen Missionen
der Fall, doch infolge des unkritischen nationalistischen Geistes Frankreichs hier noch
in erhöhtem Maße. Jnsbesondere Monet ist eö, der die engste Verfilzung der
Missionen mit allem, was in Jndochina Unterdrückung, Geistesknebelung und Aus-
beutung ist, behauptet und in seinen Schilderungen zu einem System auögebaut hat,
das als solches allerdings ein wenig nach dem üblichen Verfolgungswahn der (ge-
slli'tenriecher schmeckt. Jmmerhin scheint so viel zuzutreffen, daß die Missionen einen
ganz bedeutenden Einfluß auf Presse, Regierung und Verwaltung besitzen, einen
gewaltigen Grundbesitz in Stadt und Land (teils auf Grund von glatten Enteig-
nungen), daß sie mit den Banken und der Alkoholregie viel zu eng verflochten sind,
und daß infolgedessen die geistliche Bekehrungs- und Betreuungsarbeit eine gewisse

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