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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 3 (Dezemberheft 1931)
DOI article:
Hesse, Hermann: An einen jungen Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0182

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NächLen bezahlt — alle jene Tugenden (wenn wir sre schon so nennen wollen)
sind keineswegs nur Merkmale des echten DichLers. Sie sind Merkmale
des echLen Menschen schlechLhin, des nichL versklavLen, nichL mechanisierken
Menschen, des ehrfürchLigen und veranLworLlichen Menschen, einerlei welches
sern Beruf sei.

Wmn Sie nun das Ideal dieses Menschenbildes haben, wenn nichL Schneid
und Erfolg, Geld und MachL Ihnen als Ziele vorschweben, sondern ein in
sich gegründeLes, von anßen nichL beirrbares Leben, dann sind Sie zwar noch
kein DichLer, aber Sie sind dann des DichLers Bruder, Sie sind ihm arL-
ähnlich. Tlnd dann haL es auch einen Liefen Sinn, daß Sie dichLen.

Denn das DichLen, zumal das jugendliche DichLen, haL nichL bloß jene eine,
foziale FunkLion: schöne Kunslwerke in die WelL zn setzen und durch sie die
Menschen zu erfreuen oder zu ermahnen — sondern das DichLen kann auch,
völlig unabhängig vom WerL und eLwaigen Erfolg der dabei enLsLehenden Ge-
dichLe, einen unersetzlichen WerL für den DichLer selbsi bedeuLen. In früheren
Zer'LalLern gehörLe das DichLen als eLwas Selbsiversiändliches miL zum
Werdeprozeß einer jungen PersönlichkeiL. Auf dem Wege des DichLens nicht
bloß Sprachübnngen zu Lreiben, sondern sich selbsi Liefer und schärser kennen
zu lernen, den EnLwicklungsweg der IndividuaLion weiLer und höher zu
Lreiben als er beim DurchschniLL der Menschen gelingL, durch das Nwder-
schreiben einmaliger, ganz und gar persönlicher Seelenerlebnisse die eigenen
KräfLe nnd Gefahren besser zu sehen, besser zu deuLen — das isi der Sinn,
den das DichLen zunächsi für den jungen DichLer haL, lange bevor die Frage
gesiellL werden darf, ob nun seine GedichLe ekwa auch sür die MiLwelk einen
WerL bedenken.

Das WorL „PersönlichkeiL" gilL heuke nichL mehr unbedingL als ein Ideal,
wie es das eLwa zu GoeLhes ZeiLen war. Sowohl von bürgerlicher wie
von prolekarischer Seike her wird die EinzelpersönlichkeiL heuke als Selbfi-
zweck abgelehnL — man suchL nichL geniale Einzelne zu züchken, sondern einen
normalen, gesunden, LüchLigen DurchschniLL. Die Fabriken gedeihen dabei
vorzüglich. Aber es haL sich z. B. schon in ganz kurzer Friß in DeuLschland
gezeigk, wie ganze lebenswichkige FunkLionen des Volkskörpers nokleiden und
in Lödliche Krisen geraken, wenn es an jener Energie, VeranLworLlichkeiL
und inneren ReinheiL gebrichL, die nur der hochgesinnte Einzelne aufbringL.
Die grauenhafke EnLarLung des polikischen BeLriebes, des ParLeilebens und
des ParlamenLarismus zeigL uns deutlich, wo es fehlL, und dieselben Par-
Leien, die es einem auch nur wenig über DurchschniLL differenzierken Men-
schen unmöglich machen, in ihnen auszuharren, schreien nachher nach dern
„starken Mann".

Lassen Sie sich von Ihren Kameraden ruhig ein wenig wegen Ihrer Dich-
Lerei verspoLLen. Sie hilfL Ihnen vielleichL, ein Skück weiter zu reifen und
eine etwas höhere Stufe von MenschenLum zn erreichen, als der Menge
möglich isi. VielleichL werden Sie nach einer Weile ganz von selbst das
Dichten entbehrlich finden — nichL aber um miL den DurchschniLLsidealen
einen fanlen Frieden zu schließen, sondern um anf anderen GebieLen sich jene
edlere, wertvollere, beseeltere ArL von Leben zu erobern, zu der Sie sich be-
rufen fühlen.
 
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