Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1931)
DOI Artikel:
Thiry, Antoon: Zwei Weihnachtsgeschichten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0213

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Glerck) wurde es siill, so siill, daß man das Ticken der Tnrmuhr hören konnte,
und nichts rührte sich mehr in diesem Kreise andächtiger, golden beleuchLeLer
KindergesichLer, deren Augen groß und offen waren von der goldenen KlarheiL
der Kerzem

Iüdeke legLe die Geige nnLers Kinn und neigLe den Kops. Jn einem seligen
Lächeln schlossen sich seine schiefen Augen halb zu, und sein BarL ziLLerLe. Und
miL gewohnLer Gebärde und Lräge greifenden Fingern spielLe er die süße, weh-
müLige Melodie, die die Kindermünder gleich miLsangen:

Maria, die sollte aach Bethlehem gehn
Weihnachten in der Mittagsstund,

Sankt Fosef, der sollte mit ihr gehn,
blm ihr den Weg zn tun kund.

Die Kerzenflammen zitLerLen ausrecht und schlank, und lieblich lachLe das wäch-
serne Iesulein.

ELwa zehn MinuLen dauerLe das Liedchen, und dann war dieses erße Musik-
opser zu Ende.

Abermals machLe er eine Berneigung, barg die Geige unLer dem Rock, nnd
zur SeiLenpsorLe ging er hinaus, hinLer sich die lange Schleppe der Kinder.
Und genan wie alle anderen Iahre ging diese sonderbare Prozession miL Iüdeke
voran durch die beschneiLe SLadL nach der Klansenkirche, nach der IesuiLischen
und den Zellenbrüdern und so weiter. Und überall spielLe Iüdeke seine alten
Lieder, als ob er nie in seinem Leben krank gewesen wäre, und die Kinder
sangen miL.

Die Menschen kamen nengierig an ihre HalbLüren und sahen nach, was los
war, denn niemand haLLe so was erwarLeL, nnd sie schlugen erstaunL die Hände
ineinander.

„Das isl ein Wunder, ein wahres Wunder!" sagLen sie zueinander.

„Wer häLLe das wohl denken können! Diesen Morgen haL er nichL einmal
znr Messe gehen können. Und nun länsL er dorL!"

Es war schon Llbend, als er an der Kapelle am Markt ankam. Die Sterne
zitterten hell, und der Mond legte sein Silber ans die Schneedächer. Die
Kinder vom Mechelner Viertel, dem Antwerpener Tor und dem Lisper-
Rkieuweland riefen ihm miL einem „Bis zum nächsien Iahr, Iüdeke!" einen
GuLen Abend Zu, und Lruppweise liefen sie über den hellen mondbelenchLeLen
Großen MarkL sedes in seiner Richtung nach Hause, wo die warmen Waffeln
warLeLen. Die anderen wollLen Iüdeke nach SankL Rochus begleiLen und um-
drängten ihn soforL miL ihrer naiven FreundschafL:

„Es ist doch gnL, daß du gekommen bist, Iüdeke! Es ist doch gut!"

„Sie haLLen uns schon rausgeworfen. Er stach miL seiner Pieke, Iüdeke, der
Schweizer! Q weh... 2lber sie haben uns doch wieder hereinlassen müssen,
die Iudasse! Was denken die wohl!"

„Bist dn nun wieder gesund, Iüdeke? Du darfst nie wieder krank werden,
hörst du!"

Iüdeke neigte zufrieden sein lächelndes, bärtiges GesichL zu all den Stimm-
chen, und er sagte: „So, so?" oder „ja, ja!", wie er es immer LaL.

2lber auf der Hohen Brücke, dichL unter dem Liebsrauenbild, das dorL mit
seiner roten LaLerne in der MiLLe des steinernen Brückengeländers auf einer

176
 
Annotationen