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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 3 (Dezemberheft 1931)
DOI article:
Popp, Josef: Die Kunst Karl Knappes
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0225

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Jn Knappeö Knnst herrscht nicht der Zanber eines sinnenfreudigen (südländischen)
Natnralismus, sondern der (nordische) Geist des Ornaments.

WaS ist hier unter Ornament zu verstehen?

Selbstverständlich nicht eine schmückende Zutat, eine Sache, die roir nun nach mühe-
vollen Umwegen glücklich loögeworden sind, sondern etwas völlig anderes, Ursprüng-
licheres. Das Ornament ist zunächst de.r GegensaH zu dem eben beschriebenen plasti-
schen Naturalismus; eS ist viel eher der Schrift, der Rune verwandt, ist unsinnlich,
abstrakt und führt so zu einer Bildvorstellung und Gestalt, deren sinnliche Tempe-
ratur sehr gering ist. So steht die runenhafte Kargheit und Strenge der Romanik,
im Figürlichen wie in der ornamentalen Dekoration, im Gegensatz zu der Gliederpracht
der antiken oder barocken Plastik, zum Naturalismus der Gotik. An der mediter-
ranen Kunst gemessen mag der formale und künstlerische Gehalt einer solchen Kunst
bescheiden erscheinen. Das ist indessen nicht unter allen Umständen ein Mangel, ins-
besondere dann nicht, wenn man bedenkt, was der Norden (ursprünglich) von der Kunst
fordert: nicht eine „ästhetische" Gmpfindung, nicht Erregung und Anreiz des LebenSge-
fühls, nicht Kunstgenuß oder fchauende Versenkung, kein ästhetischeS Erlebnis, sondern
Abbild und Bestätigllng zu sein eineS innern Zustandes, von dem man durch die Kunst
Kenntnis nimmt, dessen Darstellung man prüfend und vielleicht skeptifch betrachtet.
Denn als das Erste gilt nicht die Kunst, der man sich ehrfürchtig naht, sondern der
Mensch, der sich der Kunst bedient. Demgemäß ist sie kein Gegenstand bürgerlicher
Sensibilität, sondern sie verharrt, ohne in die Sphäre deS Menschen und seiner see-
lischen Natur einzugreifen, in der sachlich strengen Haltung des Ornaments.

Es ist kein Zufall, daß gerade die Gegenwart Künstler aufweist, die wie ein lebendiger
Protest eines älteren, ursprünglicheren Kunstgefühls gegen die ästhetische Kunst unserer
Tage dastehen und sich mit Mühe zu behaupten haben. Zu ihnen gehört vor allem
KarlKnappe.—Die neuere Kunst ist durch eine entschiedene Abkehr vom Asthetischen
charakterisiert. Das AuSruhen im Genuß der Schönheit erweckt Mißtrauen, ja Jronie.
Alle älteren deutschen Künstler konnten mit Dürer bekennen, daß sie von der Schönheit
keinerlei Wissenschaft besißen. Der erste, der in neuerer Zeit den Widerspruch eines bür-
gerlichen SchönheitSgefühls herausgefordert hat, war van Gogh. Man hat aber bald
die nordische* Natur des Künstlers erkannt. Jch will die hier in Betracht kommende
Anschauungsform am Beispiel der Landschaftsmalerei kurz darstellen. Jm Gegensatz
zur südlichen Landschaftskunst hat die nordische die Dinge und ihren landschaftlichen
Zusammenhang nicht in einem vorzugsweise räumlichen, sondern in einem gegen-
ständlichen Sinn dargestellt. AuS dem Gegenständlichen hat sie das entwickelt, was
man Gefühl und Stimmung nennt. DeShalb war es ihr nicht darum zu tun, nüt
den Gegenständen der Landschaft einen harmonischen Raum aufzubauen und zu orga-
nisieren, sondern sie war eher bestrebt, den charakteristischen Reichtum der Einzel-
dinge, die Fülle und Vielseitigkeit deS Gegenständlichen zu zeigen. Demgemäß nahm
sie, im Gegensatz zur südlichen Landschaft, den Horizont möglichst hoch, um eine
Draufsicht** zu erreichen, und führte den Blick diagonal in die Tiefe des Raums, um
womöglich die stärker charakterisierende Übereckansicht zu gewinnen. Es ist ein-
leuchtend: ein Fasziniertwerden vor den Dingen, der ehrfürchtige und bewundernde
Aufblick zu ihnen, konnte bei einer solchen Anschauungs- und Darstellungsform nicht
in Frage kommen. Visionen und ekstatische Zustände, glanzvolle und berauschende
Deckenbilder kennt man ursprünglich im Norden nicht. Viel mehr und viel lieber
sieht, ich möchte sagen: mustert man daS Gezeigte nach sachlichen oder inhaltlichen
(poetischen) Gesichtspunkten; die aktive, gespannte Natur des nordischen Menschen
liebt den im Grunde passiven Zustand der ästhetischen Kontemplation nicht.
KnappeS Kunst hat, das ist der erste Eindruck, die unliebenswürdige Kraft des Ge-
genständlichen. Denn das Objekt der Darstellung wird bei ihm nicht zur „schönen"
* Nordisch ist hier immer im h i st o r i s ch e n Sinn zu versteben. ** Dgl. unser Titelbild!

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