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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 3 (Dezemberheft 1931)
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0245

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wägen nach politischen Zweckmäßigkeits-
gründen hat der Politiker, der zur Tat
kommen will, zu vertreten, denn über der
StaatSwissenschaft darf nicht die
Staatskunst vergessen werden.

BricciuS

Arthur Schnitzler

<^llucht in die Finsternis" — ein ominö-
„O ser Titel wahrlich für ein Buch, dessen
Verfasser sich sür immer hinwegbegeben,
eben da eS am Erscheinen war. Man
liest Arthur Schnitzlers letzte Erzählung
mit dem Ernst, den jegliche Art Dermächt-
nis gebietet, und einer besonderen Trauer
dazu. Gilt diese dem Tod, so mehr noch
dem Leben. Jenem Leben nämlich, das
Schnitzler, der Erzähler und Dramatiker,
je und je vor unS ausgebreitet und von
dem er in dem klinischen Journal letzter
Hand, worin er den Werdegang eines
VerfolgungswahnS niederschreibt, noch
einmal Zeugnis ablegt, Arzt und Künst-
ler in einem.

Große Kunst des Erzählens aber —
woran wurde sie gewendet? An den
Zweifel, an das Nichtwissen, an die
„schöne" Trauer und traurige Schöne, an
das Leben diesseits. An das Vergäng-
liche wurde sie gewendet, gebettet in eine
mittlerweil unwiederbringlich abgeschnürte
Vergangenheit: in die des kaiserlichen
Österreichs vor dem großen Krieg. Jn
einem neuen Buch des Wieners Ernst
Lothar („Kleine Freundin") wird eine
rührende Greisin nebenbei dargestellt, die
fortfährt, nach Kronen und Hellern, noch
lieber nach Gulden und Kreuzern zu rech-
nen — Hartnäckig nimmt sie von der
neuen Zeit keinerlei Notiz. Der Fall der
Tant' Regin' ist der deS ErzählerS
Schnitzler — und doch ist die wunderliche
Treue, die er bis zuletzt dem Vergange-
nen hielt, folgerichtig bei dem Liebhaber
des Vergänglichen, der er seit je gewesen.
Es gibt bei Schnitzler nur ein Absolutum:
das Relative. Nichtig erscheint ihm alles.
Und wo erhabenere Gcister die relativen
Nichtigkeiten absetzen vom Unverwesli-
chen und darum fröhlich sind, versagt je-
ner sich in Gram. Noch in seiner letzten
Erzählung sieht Schnitzler sehr wohl das
psychologische Phänomen der Flucht —
Flucht in den Wahnsinn —, aber er be-
scheidet sich gegenüber allen Fragen nach
dem Warum und Wohin. Zwar schreibt
er sie nieder, der sorgfältig beobachtende
Arzt: die Symptome einer Besessenheit.

2och

Aber in diesen Symptomen den Kampf
transzendentaler Mächte um eine Seele
zu erkennen (und darzustellen), weigert
er sich. Sieht er ihn nicht? Es scheint
ihm jedenfalls nur an der Fesksteilung
zu liegen, daß rätselhaft-verspielt Geist
und Wahn die Rolle tauschen können in
diesem Leben, grundlos-schlüpfrig, wie es
nun einmal ist. Weiß er nur dies? Ge-
wisser noch: daß er mehr nicht wissen will.
Er hat die Diskretion und den trauervol-
len Hochmut derer, die vom Schleier des
EroS verhangen sind, doch zugleich spricht
aus seinem Verzicht, seinem Nur-irdisch-
Sein, Nur-diesem-Leben-dienen-Wollen die
furchtbare Schwermut seiner Rasse, so da
ist die Schwermut eines religiösen Vol-
kes, das die Fackeln, die ihm in seiner
Weltstunde hätten leuchten sollen, zur
Erde gekehrt hat, vergeblich bemüht, sie
darin auSzulöschen.

So war auch er, die sinnliche Welt, die
er liebte, als nichtig zu begreifen, gleich-
sam verdammt. Das Leben war Reiz,
die Liebe Genuß geworden; die Männer
(in seinen Novellen und Dramen) ver-
mochten nicht mehr mit dem Herzen zu
lieben, die Frauen aber opferten sich ver-
geblich auf. Jn Rausch und Farbe und
panischer Stille ein unerhört schöner
Herbst! Herbst des alten Dsterreich, des
kaiserlich-königlichen Wien vor Anno ich
Ein aufmerksamer Beobachter, hellhörig
für die Stimmen auch der kleinen Pro-
pheten, konnte an dem Liebhaber des Ver-
weslich-Schönen, dem glänzenden Jm-
pressionisten Arthur Schnitzler, dem Zä-
ger des unwiederbringlichen Augenblicks,
den blntergang der von ihm besungenen
Welt ablesen, lange bevor Princips
Schüsse daS Finale intonierten. Er war
in sachlichster Übereinstimmung mit der
Welt, die seine Trauer dennoch verwarf.
Er hat sie überlebt und ihr die Treue ge-
halten. Er ist nie umgekehrt. „Flucht in
die Finsternis" ist der Titel seines letzten
Buchs*. Hanns Braun

Heinrich Homöerger

^)u Florenz auf dem Friedhof Agli
D)Allori ruht neben Karl Hillebrand sein
Freund Heinrich Homberger. Ein Dich-
ter, ein feinsinniger Deuter und Kritiker,
ein Mensch von edler Gesinnung, erfüllt
von leidenschaftlichem Erkenntnistrieb,
ehrlich in seiner Liebe, scharf im Hasse,

* S. Fischec, Berlm.
 
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