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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 4 (Januar 1932)
DOI Artikel:
Bauer, Clemens: Proletariat
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0264

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Ie beschränkter die MöglichkeiL wirb, aus dem LohnverhälLnis herauszu-
kommen, je stärker die ArbeiL als Ware und als LlnkostenfakLor innerhalb
der kapiLalislischen UnLernehmung in die allgemeine MarkLmechanik einbezogen
wird, desto mehr wird die ProleLariLäL Massenerscheinung und desto slärker
sührL sie zu einer dauernden sozialen UmgestalLnng. Sie wirkL sich innerhalb
der kapiLalisiisch wirLschasLenden GesellschafL aus in der Bildung einer ge-
schlossenen SchichL oder vielmehr Klasse miL dem CharakLeristikum der Pro-
leLariLäL, also des ProleLariaLs. Dann ist die ProleLariLäL und ihre spezi-
fische ökonomische VorausseHung, die freie LohnarbeiL, nichL mehr eine Durch-
gangsstufe, sondern Dauer und Erbe, die das soziale Schicksal bestimmen.
Die ProleLariLät bestimmL das durchschniLLliche soziale Schicksal, und damiL
im ganzen den durchschniLLlichen Lebensstandard. Die Masse der Proletarier
difserenziert sich, bildeL spezifische, aus ihrer ökonomischen Lage sjch ergebende
LebensgewohnheiLen, scheideL sich — wenn auch zunächsi nur negativ be-
stimmL — von den übrigen gesellschafLlichen SchichLen ab, und es beginnL der
Prozeß einer spezifischen proleLarischen BewußLseinsbildung. Erst dieseu
sozialen und psychologischen Differenzierungsprozeß, der sehr wesenLlich sich
auch in der Bildung eines charakterißischen WerLbewußtseins äußert, um-
schließt der soziologische Begriff „ProleLariaL", nnd darans ergibt sich gleich-
zeiLig die SchwierigkeiL einer klaren begrifflichen Erfassung des im Prole-
LariaL gegebenen soziologischen Tatbestandes.

Auszugehen ist bei einer solchen Begriffsbestinnnung vor allem von der
KlassenqualiLäL des ProleLariaLs. Und mit dieser Feststellung der Klas-
senqnalitäL ist das ProletariaL gekennzeichnet als ein spezifisches Ele-
ment kapitaliflischer SozialgestalLung. Denn wirkliche Klassenschichtnng
der GesellschasL korrespondiert nur miL einer völlig kcrpiLalistischen WirL-
schaftsordnung. Für die Klasse iß soziales Gestaltungs- und Qrganisa-
Lionsprinzip die SLellung der einzelnen ihr Zugehörigen innerhalb der Pro-
duktionsordnung, und mit der Produktionsordnung bzw. der Stellung in ihr
ist gleichzeitig der Anteil am Sozialprodukt, das heißt die Einkommenschance
gegeben. Als Motor der Klassenbildung innerhalb der kapitalistisch wirtschaf-
tenden GesellschafL aber wirkt die zentrale SLellung des MarkLes als Regler
aller wirtschaftlichen und sozialen Prozesse. Je stärker und ausgeprägter
die Arbeitsteilung wird, je mehr die Spezialisierung bis zum Formalismus
forLschreitet, defto mehr kann nur eine marktmäßige ÄerflochLenheiL ein Funk-
Lionieren garantieren. Und mit der iminer zentraleren Stellung des MarkLes
wird auch der Einzelne immer stärker in den Marktmechanismus verflochten,
wird Marktpartei, und die Stellung als Marktpartei wird die entscheidende:
„Marktmäßigkeit" wird die beherrschende Vorstellung, die nunmehr von
den ökonomischen Beziehungen auf die sozialen Beziehungen übergreift. MiL
das ftärkste MoLiv zur Bildung des ProleLariats, das heißL zur Zusammen-
schmelzung der Proletarier zu einer Klasse ift die fortschreiLende Verhastung der
auf LohnarbeiL Geßellten in den zentralen Arbeitsmarktmechanisnms gewescn;
die Klasse bildet sich als Organisation aller mit demselben Interesse und der-
selben Chance am MarkL AufLreLenden. ProleLarier kann es in allen unter-
nehmungsmäßig orgauisierLen WirLschafkszweigen geben, aber ProleLariat
nur in einer spezifischen, klassenmäßig organisierten Gesellschaft, eben iu der

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