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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 4 (Januar 1932)
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Bauer, Clemens: Proletariat
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0266

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im eigenen Hause des Handwerkers erfolgt. Und auch im Handwerk selbst, also
nicht von der Sphäre des Handels her beeinflußt, vollzieht sich ein endogener
Prozeß, der für die Gesellen faktifch ein Lohnarbeitsverhältnis fchafft: mit der
allmählichen Verhärtung der Meifterfchicht zu einer erblichen, abgefchlossenen
gefchlechterhaften Kafte wird für den großen Teil der Gesellfchaft der Auf-
ftieg unmöglich, sie bleibt Latsächlich ihr Leben lang auf der Stufe der Lohn-
arbeit. Dieser endogen-handwerkliche Prozeß ift die Signatur der enropäifchen
Gewerbeenkwicklung seit dem Spätmittelalter. Der Prozeß der Herabdrük-
knng der Handwerksbetriebe und ihrer Eingliederung in verlagsmäßig orga-
nisierte Unternehmungen ift das Spezifiknm für das Textilgewerbe und für
die metallverarbeitenden Gewerbezweige, also die wesentlichften mittelalter-
lichen Exportgewerbe.

2lm früheften nnd beften läßt sich die Umformung in kaprtaliftifche Betriebs-
formen im florentinifchen nnd im flandrifch-französifchen Teptilgewerbe be-
obachten. Sie zeigt vor allem die fundamentale Tatsache, daß die ersetzbare
Arbeitsleiftnng im Produktionsprozeß — hier dre unterfte Stnfe der Mate-
rialzrrbereitung für die Wollweberei — das entfcheidende Element bildet
für die Ausbildung eines reinen Lohnverhältnisses. Besonders das Florenz
des i^. Iahrhnnderts zeigt bereits in beträchtlichem zahlenmäßigen Umfang
Textilarbeiter, die in Werkftätten, oft zu großer Zahl znsammengefaßt,
arbeiten. Weniger akzentuiert ift dieser Prozeß iu Flandern, aber doch mit
einer deutlichen Richtung auf massenhafte proletaroide Arbeitsverhältnisse.
2lber beide Male handelt es sich um Phänomene, die örtlich und zeitlich be-
grenzt bleiben, also keine Kontinnität zeigen, und die vor allem die Gesamt-
wirtfchaftsftruktur nicht entfcheidend umformen.

Ausgeprägter und massenhafter kehrt die Lohnarbeitsverfassung wieder im
mitteleuropäifchen Bergbau des endenden Mittelalters und des 16. Iahr-
hunderts. Mit der Ukotwendigkeit des Übergangs zum Untertagbau mit
relativ fchwierigen technifchen Aulagen im mitteldeutfch-sächsifchen Zinn- und
Silberbergbau und im ungarifchen und tirolifchen Kupfer- und Silberbergban
erliegt die alte handwerksmäßige Gewerkfchaftsbetriebsform verhältnismäßig
großen kapitalintensiven Betrieben, aus der vielgeftaltigen Hierarchie der Leute
am Berg werden Lohnarbeiter mit einem ftarken Eriftenzrisiko, und hier tritt
zum erften Mal entsprechend der Nutnr des Bergbaus eine ftarke Konzen-
tration und damit relative Bermassung ein. 2lnch im englifchen Bergbau,
der dann die mitteleuropäifche Epoche des Bergbaus ablöft, ergeben sich im
17. Iahrhundert mit einer Intensivierung der Ausbeute ähnliche Ber-
hältnisse. älber im ganzen gesehen hat der Llufbruch des Frühkapitalismus in
seinen zwei bedeutsamen Epochen, der italienifchen und der oberdeutfchen,
doch nie das Gesamtgefüge der Arbeitsverfassung umzuformen vermocht,
und vielfach sind mit seinem Erlöfchen auch die entsprechenden Organisations-
formen in seinem spezififchen Erfcheinunggebiet wieder verfchwunden. Lluch
der vorherrfchende Zweig der Wirtfchaft, die Landwirtfchaft, erfährt nir-
gends, selbft wo an Stelle einer traditionalen Grundherrfchaft eine markt-
orientierte Gutswirtfchaft unter kapitaliftifchem Einfluß erfteht, eine ent-
fcheidende Umformung der Arbeitsverfassung in der Richtung auf die Schaf-
fung einer ländlichen Arbeiterfchicht.
 
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