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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 4 (Januar 1932)
DOI Artikel:
Bauer, Clemens: Proletariat
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0271

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die alles auf dem WerL der 2lrbeik aufbaute, schuf sich ein neues, durch und
durch individualistisches SozialeLhos. Es haLLe in dem IahrhunderLe dauern-
den Säkularisierungsprozeß, der vor allem auch alle religiös gefärbLen
Sozialanschauungen erfaßLe, die endgülLige Führnng übernommen. Und seine
Ideologie gehL miL negaLivem Vorzeichen in die sich bildende proleLarische
Ideologie ein. Von hier aus findeL sich auch der Zugang zur PoliLisierung
des ProleLariaLs — eine spezifisch bürgerliche Idee —, nnd hier innerhalb
des prolekarischen WelLanschanungsraumes werden bis in ihre leHLen Kon-
sequenzen die Resibesiände liberaler bürgerlicher WelLanschauung liquidierL.
Die PoliLisierung des ProleLariaLs haL einen dopgelken Sinn. Ersiens, nnd
in historischem Ablauf zunächst, stellL sie eine besondere Skufe der prole-
Larischen Bewußkseinsbildnng dar, die bedingL ist durch die konkrete euro-
päische SiLuaLion des 19. IahrhunderLs miL ihrem Übergang zur polikischen
DemokraLie. Dabei ist dann das BürgerLnm der Nuhnießer dieser PoliLi-
siernng, weil sie, soweit es zu bestimmten Formen kommL, in der RichLung
der liberal-demokraLischen Fordernngen verläufL. Sie ist politische Ablenkung
ökonomischer Spannungen nnd vor allem im prolekarischen BewußLsein eine
MeLhodik zur Berbesserung der eigenen Klassenlage. 2lls grolekarische Mas-
senerscheinung ist diese PoliLisierung erst möglich auf der Grundlage der mar-
xistischen GesellschafLskheorie. ZweiLens aber vollziehL sich die PoliLisierung des
ProleLariaLs innerhalb des GesamLznsammenhangs der kapiLalistischen Sozial-
entwicklung überhaupL, insofern im SkaaL innerhalb des KapiLalismus grund-
sählich alle ökonomischen Grnppen polikisch akLiv werden und für ihre ökonomi-
schen Zwecke und Ziele den Skaak zu beeinflussen und umzuformen LrachLen. In
diesem Falle ist die PoliLisierung kein spezifisch prolekarisches Phänomen, son-
dern ein charakLeristisches Phänomen kapiLalistischer GesellschafLsenLwicklung.
Die ProleLariaLsbildung ist nie „elw86 lini6",sie dauerL, solange es eine kapi-
Lalistisch wirtschaftende GesellschafL gibL, nnd damiL ist auch gesagt, daß das
ProleLariak nie eLwas scharf Abgeschlossenes ist. GleichzeiLig miL dem Wandel
des KapiLalismus und den Veränderungen der allgemeinen SozialstrukLnr
befindeL es sich in einem Zustand der Bcwegung. So ist der soziologische TaL-
bestand immer vielgestalkiger geworden, weil es innerhalb des ProleLariaLs
selbst zu immer neuen Differenziernngen und Gruppenbildungen kommk, weil
dauernd nene proletarische SchichLen sich ausformen und neue zuströmen.
Innerhalb des prolekarischen WachsLumsprozesses der neuesten Zeit ist das
Hervorstechendste das Hineinwachsen der AngestellLenschichL ins ProleLariaL.
ProleLariaLsbildung nnd KlassenschichLung sind nokwendige soziale BegleiL-
erscheinnngen kapiLalistischer WirLschafLsordnung. EnLproleLarisierung im
Sinne einer Aufhebung der ProleLariLät wäre nur möglich, wenn die öko-
nomischen VorausseHungen der ProleLariLäL als Dauer- und Massenerschei-
nung verschwinden würden. Das wäre aber gleichbedeutend miL einer Auf-
hebung der kapiLalistischen WirLschafLsordnung, deren KonstiLuLiv dieRrbeitsver-
fassung freier LohnarbeiL bildeL, es gäbe keine EnLproleLarisierung innerhalb
des KapiLalismus. „EntproleLarisierung" innerhalb des KapiLalismus kann
also nur bedeuten: Schaffung möglichst breiter „DämpfungsvorrichLungen" zur
Abmilderung der kapitalistischen Dynamik miL dem Ziel einer relativen Stabi-
lisierung der Einkommenchancen und relaLiver sozialer StabiliLäL.

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