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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 4 (Januar 1932)
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Grätzer, Franz: Blick auf das Theater, 2: Theater der Großen Koalition
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0290

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wissen darf, was der linke tut. Jn Saarbrücken und Bonn werden Lampel
und Toller der Mitgliedschast gezeigt, getreu dem GrundsaH, der Katholik
müsse auch Werke ans artfremder Wurzel kennen, um Stellung zu ihnen
nehmen zu können; in Rathenow wird der Dichter des „Armen Heinrich" ver-
worsen, weil er später der Dichter der Republik geworden sei.

Große Koalition? Für sie zeugen anderthalb DnHend Wanderbühnen, zeu-
gen die Llnfänge des mnsikalischen Wandertheaters, zeugen namentlich die
Aufbaubetriebe, zu denen die Preußische Landesbühne eine (zn langsam
wachsende) Anzahl von lebensunsähig gewordenen Pachttheatern in Klein-
städten, häufig der bedrohten Grenzgrovinzen, dergestalt umgebildet hat, daß
an dem gemischtwirtschastlichen Ilnternehmen dann die Besncherverbände
mitverantwortlich beteiligt werden. Hinzu gesellen sich wichtige organisato-
rische Aufgaben, ausgeteilt an die Landesbühnen-Ausschüsse der Provinzen.
Alles freilich unter starker Hemmung durch Geldmangel. Die Preußische
Landesbühne hat keine diktatorische Gewalt, aber immerhin eine erhebliche
moralische Macht. Sie kann nicht verfügen, daß gut Theater gespielt werde,
aber sie verbindet mit der Auszahlung von Beihilfen an gemeinnüHige
Theater die „Auflage", mit den Besucherverbänden Abmachungen zu Lresfen,
durch die den minderbemittelten Volksschichten der regelmäßjge Theaterbesuch
ermöglicht wird.

Der Streit um den grundsäHlichen Wert oder Unwert der Besncherorgani-
sationen ist sast verstummt, nachdem die Entwickelung erwiesen hat, daß sie
nicht nur nicht den wirtschaftlichen Ruin der Bühnen verschulden, sondern
ost genug ihm wirksam entgegenstehen. Der berühmte Fall des Generals,
der mit sünf Familienmitgliedern in den Bühnenvolksbund geht, statt dem
Theater die vollen Eintrittspreise zngute kommen zu lassen, ist hundertsältig
widerlegt durch das Argument, daß die Besucherverbände Hunderttausende
zu regelmäßigem Theaterbesuch erzogen haben, die sonst jährlich eine oder
keine Ausführung betreten hätten. Das Theater hat heute mit beiden
Organisationen zu rechnen, und wenn ihm die Volksbühnen zumeist die Aus-
wahl der Spielgläne leichter machen können, so bleibt anderseits anzuerkennen,
daß der Bühnenvolksbund dem Theater Schichten gewonnen hat, die ihm
endgültig verloren schjenen und die schwerer zu halten sind als durch die be-
queme soziale Werbung „Die Kunst dem Volke".

Iede Politik der Koalitionen bedingt Zugeständnisse aus dem Felde der
reinen Gesinnung. Die Radikalen in beiden Lagern sind denn auch mit den
Verbandsleitungen durchaus nicht einverstanden: im Kamps der Iungen
Bolksbühne um das politisch-proletarische Theater Piscators spielt die „Ver-
sipgung" des Berbandes mit dem „sascistischen" Bühnenvolksbund die gleiche
Rolle, wie in den hänsigen Splitterkämgsen aus dem rechten Flügel des
Bühnenvolksbundes die Äbhängigkeit der Organisation von der „marristi-
schen" Bolksbühne und dem jüdischen Theater-Reserenten des Kultusmini-
ßeriums. TroHdem besteht die Vernunstehe sort, und etwa die Ordnung der
Theaterverhältnisse in Oberschlesien und Ostpreußen ist ihr allein zu ver-
danken. Sie widerlegt den NuHwert der Losung „Alles oder nichts" durch
den Ersolg des besonnenen, obschon nicht begeisternden „Einerseits — anderseits"
aus der schwarz-rot-goldenen Mittelstraße: es ist das weitaus geringere Übel,

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