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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 4 (Januar 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0309

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andere übermächtig stark und die Welt-
lage „günstig" ist. Beide Voraussetzun-
gen liegen in dem Kampf um die Man-
dfchurei vor, dessen Zeuge tvir seit ig.
Seplember sind, dem Tage, da das japa-
nische Militär in Mukden mit der Eile
und Exaktheit eines elektrischen Appara-
tes die ganze Südmandschurei besehte.
Seit gegen Ende des letzten Iahrhun-
derts die Russen von Sibirien aus gegen
den Pazifik vorstießen und seit das ge-
tvaltsam „geöffnete" Japan an den Kü-
sten des asiatischen Kontinents erschien,
gehört die Mandschurei zu jenen Gebieten
der Erde, die mit besonders hoher und
latenter Spannung geladen sind, so daß
sich an ihnen immer tvieder neue, nie ganz
auszutragende Kämpfe entzünden. Diese
Spannnngen entstehen dadurch, daß sich
in so.chen Gebieten die Kraftlinien ver-
schiedener Völker so hart treffen, daß
keine Anpassung oder Umbiegung möglich
erscheint. Im mandschurischen Falle sind
es chinesische, japanische und russische In-
teressen. Sobald einer der Teile in einen
Schwächezustand gerät und die Weltmei-
nung andertveitig beschäftigt ist, pflegt
der stärkere vorzustoßen und durch voll-
endete Tatsachen seine Position für den
tveiteren Kampf zu stärken. Die drei Pro-
vinzen, aus denen sich die Mandschurei
zusammensetzt, Fengtien, Kirin und Hei-
lungkiang, umfassen auf einem Gebiet
von der doppelten Größe Deutschlands
heute etwa 26 bis Zo Millionen Men-
schen, von denen mindestens 2/^ rein-
blütige Chinesen sind, gegen tvelche die
eine Million Koreaner und einige Hun--
derttausend Iapaner nicht ins Getvicht
fallen, tvenn es sich darum handelt, auS
der Bevölkerung den Charakter des Lan°
deS abzuleiten. Ein teils ebenes, teils ge-
birgiges Land, im ganzen weit südlicher
gelegen als Deutschland, bietet dem Ein-
wanderer einen fruchtbaren, jungfräuli-
chen Boden; überrascht ihn durch lange,
kalte und trockene Winter und kurze,
heiße Sommer; birgt in seinen Tiefen un-
ermeß iche Schätze bester Kohle, genügend
Eisenerze und soll auch reich an Gold
sein. Wälder und Wasser fehlen nicht.
Um so mehr wundert man sich, daß die-
seS Land erst in den letzten 2Z, vor allem
in den letzten zehn Iahren ganz plötz-
lich besiedelt wurde. Man schätzt, es
möchten, wenn der EinwanderungS- und
VermehrungSprozeß so weitergeht, in der
Mandschurei am Ende deS Jahrhunderts

wohl 100 Millionen Menschen leben,
und man weiß bestimmt, daß es weder
Iapaner noch Russen, sondern Chinesen
sein werden. Es ist also nicht nur ein
geographisches oder geopolitisches Gesetz,
das der Mandschurei diesen Spannungs-
charakter verliehen hat, sondern es liegen
hier auch fast unabschätzbare wirtschaftliche
Tatsachen und Möglichkeiten vor, und es
handelt sich um einen Boden, auf dem
zwei fruchtbare, vor kurzem erst zu
modern-nationalistischem Bewußtsein ge-
kommene Völker sich im nackten Da-
seinskampf begegnen. Hier, wo schon
geschriebenes Recht zweifelhaft ist, tobt
sich natürliches Necht mit natürlicher
Härte aus.

2.

Nach geschichtlichem, völkerrechtlichem
und natürnchem Recht sind die chinesi-
schen Ansprüche unbestreitbar. Aus der
Mandschurei stammt Chinas letzte und
dauerhafteste Kaiserdynastie: die Man-
dschus. Sie, die lO/s/j über die Große
Mauer kamen, sind längst assimiliert und
in der chinesischen Geschichte schon unter-
gegangen. Heute hat das chinesische Volk
auch das Stammland der Mandschus
„erobert", wie dieseS merkwürdige Volk
zu erobern pflegt: es wächst und breitet
sich auS, wie Heide eine Landschaft über-
wuchert, die leer oder unbebaut war. Es
ist nach dem Süden gewachsen bis an die
Küsten AustralienS und Kaliforniens, es
hat Hinterindien und Indonesien unter-
wachsen, und die „Eroberung" der Man-
dschurei ist nur ein Wachstumsfortsatz
nach Norden. Die Chinesen werden dort
nicht haltmachen. Sie werden nach Sibi-
rien, in die innere Mongolei hineinwach-
sen, und nichts wird sie aufhalten als
das Eis oder ein Einwanderungsverbot,
wie etwa das amerikanische. Es ist keine
Landnahme mit Schwert und Unterwer-
fung der Besiegten. Es ist ein Untev-
und Überwachsen, weil man bedürfnis-
loser, geduldiger, fleißiger, aus härterem
Holz, anpassungsfähiger und — frucht-
barer ist als die andern. Man hat wahr-
haftig die Erde gefüllt und den Boden
sich untertan gemacht, auf den man ge-
setzt war. Man wohnt arm und dicht und
friedlich beisammen. Wer will von der
heutigen „humanitären" Ideologie auS
diesem Volk Erde und Weite bestreiten;
diefem Volk, daö dem Boden wirklich
im Schweiße seines Angesichts dient, wo

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