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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 7 (Aprilheft 1932)
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natur war von einer so nnverfälschten,
entwassnenden Herzensgute, einem arg-
losen Gemüt, daß auch die schlimmsten
Enttäuschungen ihn nicht zu verbittern
vermochten. ^sch kannte keinen Menschen
von einer so unentwegten Hilssbereit-
schaft: Schüler und Lehrer, Künstler und
der einsache Mann aus dem Volke gin-
gen bei ihm aus und ein, er brachte es
nicht über sich, einen mit leeren Händen
zu entlassen oder auch nur dem Lästigen
die Türe zu weisen. Er gab sich bis zur
Verschwendung auö, und seine Freunde
wissen, daß er einem grob kommen konnte,
wenn man ihn bat, sich zu schonen. Ein
Mensch, der unüberwindbar an das Gute
im Andern glaubte und den Menschen in
jedem achtete, der mit der heftigsten Lei-
denschast für Freiheit und Gerechtigkeit
eintrat, wo er sie in Gefahr glaubte.
Wer aber seinen Humor nicht verstand
und den Zug der Selbstironie übersah,
wenn er etwa über daS Professorale spot-
tete, konnte auch nicht begreifen, daß die
Maske des Rauhbeins, des SkeptikerS,
Pessimisten und Verneiners, die er so
gerne vornahm, ein scheues, gläubiges,
uneigennütziges Herz verbarg. Erst wer
diese Maske durchschaute, kannte den
Menschen Joseph Popp. H. Rinn

Wilhelm Busch

um roo. Geburtstag Wilhelm Buschs
wird es eine Flut von Gedenkartikeln
geben. Ob aber sein Gesicht kenntlicher
und deutlicher werden wird als bisher?
Wir sürchten fast, daß Josef Hofmil -
ler recht behält, der schon 1910 in seinem
Essay-Band „Zeitgenossen" schrieb, daß
Busch zu den am meisten bekannten und
am schlechtesten verstandenen Schriststel-
lern gehört. Hofmiller hat damals schon
den dunklen Hintergrund und Untergrund
dieseS „Humoristen" sreigelegt, ossenbar,
ohne breitern Beifall zu finden. Jn je-
nem Essay steht das Wort: E'est bouk-
kon 83N8 6tr6 A3I, das Wort von dem
komplizierten Lachen, das bald wie er-
sticktes Schluchzen klang, bald wie grim-
miges Fluchen. Sein Grundthema sei die
Nichtigkeit und das Leiden des Lebens,
das Grundthema der Schopenhauerischen
Philosophie, und die pessimistische Philo-
sophie Schopenhauers habe die Lebens-
anschauung Buschs nur bestätigt und ver-
stärkt. Wiederum wie Schopenhauer,
habe der Dichter der „frommen Helene"
erst in der entsagungsvollen Einsamkeit

des Asketen, deS Heiligen Ruhe gefun-
den. Wir wüßten nicht, wie über Busch
Zutressenderes gesagt werden könnte, und
möchten daher, da wir schon den ganzen
Essay nicht abdrucken können, wenigstens
die solgenden schlagenden Sätze wieder-
holen:

Vielleicht ist Busch, wie sein Balduin
Bählamm „der verhinderte Dichter": so
daß diese Gestalt im strengsten Sinne sein
tragikomisches Symbol wäre. Der Dich-
ter, in dem eine Welt steckt, und der we-
gen der kleinen Zwischenfälle deö bos-
hasten Alltags nicht dazu kommt, seine
Welt zu gestalten. Wenn man „Von mir
über mich" liest, ist man ergrissen von
der Stimmungsgewalt dieser Prosa.
Busch wäre einer der größten Prosadich-
ter der Deutschen geworden, hätte das
Schicksal es nicht vorgezogen, ihn zu
ihrem beliebtesten Humoristen zu machen.
Es ist nicht ohne Sentimentalität, wenn
die Deutschen, zu der Zeit, da das junge
Reich sich ungestüm reckt und dehnt, für
Busch und Reuter schwärmen: sür die
agrarische Jdylle, für die Landstädtchen-
behaglichkeit, sürs dumpfe deutsche Stu-
benglück, sür das, waS auch an Jean
Paul sterblich und allzu menschlich war.
Das wirkliche Leben der Zeit ist von
Busch nicht sestgehalten worden. Kein
Dröhnen und Brausen von dem neuen
Neiche der Arbeit, der Machtmehrung
drang in die Wiedensahler Einsamkeit.
Eine junge Welt war im Werden, aber
er wollte nichts davon merken, schloß die
Augen davor und umgab sich mit engem
Horizont.

Wilhelm Raabe ist vielleicht Wilhelm
Buschs Nächstverwandter. Auch er ein
eigensinniger Sonderling, ein allzu Wei-
cher und darum Pessimist. Nur daß sein
Humor auS den Niederungen bis ins
Weiteste und Höchste reicht, daß himm-
lische Sterne liebend in das Gewimmel
seiner Gassen herableuchten.

Sind es die wertvollsten Eigenschasten
der Deutschen, die bei dem Namen Busch
resonieren? Darf man an Jean Paul
oder den Wandsbeker Boten denken,
wenn man sich seines Humors ersreuen
will? An Dickens, oder den Onkel Ben-
jamin? Ist es gleichgültig, wer der Lieb-
lingshumorist einer Nation ist? Darf der
Erfolg Buschs vergessen werden, wenn
von der deutschen Kultur gesprochen
wird? War es ein vornehmer Geschmack,
der in ihm sein humoristisches Jdeal sah?

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