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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1932)
DOI Artikel:
Conrad, Joseph: Der geheime Teilhaber: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0558

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menschlrchen Blicken ausgeführt werden sollte, mit keinem anderen Zuschauer
und Richker als nur dem Himmel und dem Meere.

Jch sand meine beiden Offiziere in der erleuchteken Messe. Sie standen in
der N'ähe des gedeckten Abendbrottisches und warteten aus mich. Wir sehten
uns sosork hin, und als ich dem Ersten zureichte, sagte ich:

„Wissen Sie, daß ein Schiss innerhalb der Znsel vor Anker liegt? Als die
Sonne unkerging, sah ich seine Masttoppen über die Klippen ragen."

Er erhob jäh sein einfältiges, von einem entsehlich üppigen Backenbart über-
wuchertes Gesicht und stieß seinen gewöhnlichen Ausruf aus: „Herrje! Was
Sie sagen, Kap'tän!"

Mein zweiter Steuermann war ein pausbackiger, schweigsamer junger Mann,
meiner Meinung nach für sein Alter nngewöhnlich ernst, aber als unsere
Augen sich zufällig begegneten, merkte ich ein leichtes Zucken seiner Mmnd-
winkel. Ich senkte sofort die Blicke. Es war nicht meine Art, Spott an Bord
meines Schiffes zn unterstützen. Ich muß auch gestehen, daß ich sehr wenig
von meinen Offizieren wußte. Durch gewisse Umßände privater I'kaLur
war ich erst vor vierzehn Tagen Kapitän dieses Schiffes geworden. Auch
von der Mannschaft wußte ich sehr wenig. Alle diese Leute waren seit
anderthalb Iahren oder noch länger zusammen, und ich war eigentlich der
einzige Fremde an Bord. Ich erwähne dieses, weil es sür das Berständnis
der Ereignisse, die folgen werden, von Wichtigkeit ist. Aber das, was ich am
schmerzlichsten empfand, war der Ilmstand, daß das Schiff mir fremd war.
Wenn ich ganz offen sein soll, war ich mir selber noch fremd. Als Iüngster
an Bord (der Zweite Offizier ausgenommen) und zum ersten Mal auf
einem so verantwortungsvollen Posten, war ich geneigt, die Tauglichkeit der
anderen als etwas Selbstverständliches zu betrachten. Sie mußten einfach
ihren Aufgaben gewachsen sein, aber ich fragte mich, wie weit ich jenes Ideal
erreichen würde, das jedem Menschen im geheimen als höchste Bollendung
seiner eigenen Persönlichkeit vorschwebt.

Inzwischen bemühte sich der Erste Steuermann, während seine runden Augen
und sein fürchkerlicher Backenbart fast sichtbar daran teilnahmen, eine Erklä-
rung für das vor Anker liegende Schiff auszuklügeln. Sein hauptsächlicher
Charakterzug war der Hang, alles äußerst ernst und gründlich zu erwägen.
Er war eine sehr gewissenhafte und umständliche Nmtur. Wie er zu sagen
pflegke, liebte er es, „die Ursache für alles, was ihm begegnete, zu ergrün-
den"; dies erstreckte sich sogar auf einen elenden Skorpion, den er vor acht
Tagen in seiner Kabine gefunden hatte. Das Wieso und Weshalb dieses
Skorpions — wie er an Bord gekommen war und warum er gerade seine
Kabine und nicht die Vorratskammer (die doch dunkel war und darum eher
von einem Skorpion aufgesucht werden müßke) gewählt, und wie er es in
aller Welt fertiggebracht hakte, sich in dem Tintenfaß seines Schreibtisches
zu ertränken — hatte den Steuermann stark beschäftigt. Für das innerhalb
der Inselgruppe liegende Schiff war viel leichter eine Erklärung zu finden,
nnd gerade als wir im Begriff waren, von Tisch aufzustehen, verkündete er
sie. Es war ohne Zweifel, meinte er, ein Schiff, das eben aus der Heimat
angekommen sei. Wahrscheinlich hatke es znviel Tiefgang, um die Barre zu
passieren, es sei denn bei Springhochwasser. Darum habe man es vorgezogen,
 
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