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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 9 (Juniheft 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0678

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buch des Krieges endlich schließe und die
versperrten Straßen dem Handel und
Wandel wieder öffne. Man lveist ihr fer-
ner zu: Regelung der Kriegsschulden der
Alliierten, die Frage der Goldtvährungen,
Hilfe für den Donauraum, Auftrieb für
die Abrüstungskonferenz. Es besteht die
alte Gefahr, daß man fo tut, alö ob hier
nur von Wirtschaft die Rede fei, während
echteste Politik die Stunde regieren tvird.
Denn hinter den Tributen steht der fran-
zösische Wille zur Niederhaltung Deutsch-
lands, zur „Sicherheit", zu dem ewigen
Vollstreckungsbefehl, steht die Grund-
frage: ob VersailleS die Ordnung Euro-
pas bleiben, oder eine neue kommen soll.
Lausanne liegt am Ende einer Entwick-
lung, die durch den deutschen Vorstoß
in den Donauraum im März igZi er-
öffnet wurde durch die Zollunion. Jnso-
fern hat selbst dieser stümperhaft unter-
nommene Versuch einer selbständigen
deutschen Außenpolitik seinen Erfolg ge-
habt. Die Zusammenhänge sind eindeu-
tig: Frankreich beantwortete unseren
Vorstoß mit einer Finanzoffensive auf
allen Fronten: die österreichische Kredit-
anstalt brach zusammen. Jm Mai kam
es zu dem Run des Auslands auf die
deutschen Banken. Am 20. Juni mußte
Hoover seine Botschaft an die Welt er-
lassen. Frankreich sabotierte sie mitallen
Mitteln. Als England nicht mitmachte,
erfolgte der erste Angriff aufs Pfund. Es
folgte der iz. Juli. Dann kam es zu je-
nem ersten Bericht der Bankiers über
Deutschlands Lage, den wir als Layton-
oder Wigginsbericht kennen. Am 20. Sep-
Lember zwingt Frankreich das englische
Pfund zum Abschied vom Gold. Ende
September eröffnet es den Angriff auf
den Dollar, und als Laval am 2Z. Ok-
tober in Washington sein „rien ü ksire,
ioi", aussprach, da schien Frankreich auf
dem Höhepunkt seiner Macht zu stehen.
Es hatte nicht nur Deutschland, sondern
alle, die dem Geächteten Schutz und Un-
terkunft gewährten, gezüchtigt. Österreich
und Ungarn waren gezwungen, inS fran-
zösische Konzentrationslager zu ziehen.
Die Welt lag anbetend vor dem goldenen
Kalb von Paris. Brüning mußte den
Aoungapparat in Gang setzen. Der Baf-
ler Bericht vom 2Z. Dezember stellt die
völlige Zahlungsunfähigkeit Deutschlands
fest und fordert die Mächte auf, „ohne
Verzug zu einer Entscheidung zu kom-
men". Am IZ. Januar 19Z2 waren in

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Ouchy bei Lausanne schon alle Vorberei-
tungen getroffen für die Weltkonferenz,
da weigerte sich Tardieu zu erscheinen.
Das Hooverjahr geht am zo. Juni zu
Ende. Zur gleichen Zeit läuft der Aus-
landskredit ab, auf dem die deutsche
Währung beruht. Am iZ. Dezember sind
die ersten Zahlungen der Alliierten an
Amerika fällig. Der Kongreß hat noch
einmaljedeSchuldenstreichung,jedenSchul-
dennachlaß verboten! Jm französischen
und amerikanischen Budget sind Tri-
bute und Schuldenraten eingesetzt. Jm
deutschen und englischen fehlen sie. Tar-
dieu hat amtlich erklärt, er werde nie
auf die deutschen Tributüberschüsse ver-
zichten, Brüning aber hat, im Namen des
ganzen deutschen Volkes, am 9. Januar
19Z2 das deutsche Nein ausgesprochen
und es kürzlich in zwei Reden verschärft
wiederholt. So stehen die Parteien, wenn
es am 16. Juni wirklich zu einem Laui-
sanne kommen sollte.

2.

Die Tribute sind in erster Linie eine mo-
ralische und politische Angelegenheit, dann
erst eine wirtschaftliche. DaS Morali-
sche stand immer im Hintergrund. Die
Geschichte der Tribute begann mit der
Kriegsschuldlüge und ist eine Geschichte
von Vertragsbrüchen, kleinen und gro-
ßen Gaunereien. Von den Wilsonrepara-
tionen, die echter Wiederaufbau sein soll-
ten, ging es zu den Lansingreparationen,
die schon die Zivilpersonenschäden herein-
nahmen. Dann gelang es Clemenceau,
die KriegSrenten und Pensionen hineinzu-
schmuggeln und damit Deutschland für
immer erfüllungsunfähig zu machen.
Shylock bekam seinen Schein. Es gibt in
den Akten der „Reparationskommission"
Dokumente der klnverfrorenheit, die nie-
mand kennt. Mit balkanischer Gaunerei
werden unseren Vertretern Schadenrech-
nungen vorgelegt: Frankreich setzte für
seine Bauschäden das Z—Zfache der Vor-
kriegspreise ein. Loucheur forderte 60,
Klotz 107 Milliarden Goldmark Wie-
deraufbaukosten. Aber der gesamte
Baubesitz Frankreichs war vor dem
Krieg amtlich mit ^7 Milliarden an-
gegeben. Die zerstörten Gebiete um-
fassen 4 Prozent der französischen
Oberfläche. Es war eine herrliche Zeit
für Betrüger und Schieber. Frankreich
forderte und bekam Pensionen für die
Maitressen seiner Gefallenen, es forderte
Ersatz der BestechungSgelder an Neger-
 
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