Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1932)
DOI Artikel:
Ullmann, Hermann: Das deutsche Ringen um Gestalt: Brief an einen jungen Freund
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0706

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
am siärksten nach erner Gesialt der NaLion, die ihrem Werden HalL geben kann.
Freilich nichL nach siarrer Form, die ihr Werden hemmL.

So klasiLe denn zwischen der Regierung Brüning und der naLionalsozialisiischen
Bewegung, die zusammen häLLeu das Vakuum süllen können, der Spalt auf,
der immer wieder in DeuLschland sichLbar wird und das Reifen zur Gesialt ver-
hinderL. Das Vakuum wurde sichLbar in einer isolierten „Übergangsregierung"
der Bürokratie und der Reichswehr, die geradezu das zwangslchifige Ergebnis
der Versäumnisse Brüm'ngs wurde und nun unter unendlich erschwerten Vor-
ausseHungen die posiLiven AnsäHe Brünings, namentlich die außenpolitischen,
fortführen soll.

*

In einer ZeiL, in der die von alters her gesialteten Völker ihre politische GesialL
zu verlieren drohen, soll das deutsche seine eigene GesialL erringen, soll es sich ein
Bild von sich selbsi schasien, nach dem es politisch zu leben vermag über seine
zersiückelte, gefährliche GegenwarL hinaus. Daß das nichL auf dem Wege par-
lameukarischer Diskussion möglich isi, isi erwiesen. Daß nur eine sireng geformte
EliLe ein Volk gesialten kann, beginnL allgemeiner Glaube zu werden. Zwischen
dem Versagen alter Kräfte und dem Ringen nach einer neuen Elite bleibL Sol-
datentum und BürokraLie, d. h. die bloße Handhabung des StaatsapparaLs das
leHLe, was sichtbar den Staat repräsentiert. Daß dieser Übergangszusiand
höchsi gefährlich isi, wurde gerade durch das KabineLt Brüning und seinen
Sturz zwei Wochen vor Lausanne sichtbar genug. Eine neue EliLe aber kann
nicht entsiehen, solange die regsien politischen KräfLe in DeuLschland an den
ExLremen gesammelt sind, am reaktionären und am radikalen Flügel, und
solange jeder Versuch, das Volk als Ganzes politisch zu gesialten, in den
Bann dieser FlügelkräfLe gerät, ohne daß diese ihrerseits mehr als sich
selbsi, ohne daß sie die ganze VeranLworLung wollen. Hier liegt also
ein leHLen Endes geisiiges Problem vor, das Problem der Überwin-
dung von Reaktion und Radikalismus im PoliLischen. Der
polikische Bereich isi in DeuLschland seit dem Zusammenbruch des alten
demokratischen Liberalismus entweder völlig dem Ungeisi oder dem geisiigen
Schwanken, einem geisiig geradezu unredlichen Schillern zwischen politi-
scher RomanLik und poli'Lischem Idealismus überlassen. Gegen dieses Schwan-
ken wehrt man sich, indem man sich um so krampfhafter mühL, die beiden Flü-
gelextreme gegeneinander abzuheben. So wird die RkaLion, soweit sie politisch
zu denken versucht, noch mehr aufgespalten. RkichL GesialL, sondern nur Ein-
blick wird gesucht. Die Frmde am ewigen deutschen Werden, am GegensaH-
reichLum LrübL den Blick auf die erschüLLernde WirklichkeiL. 2luf die TaLsache,
daß wir mit unserer GesialtlosigkeiL zwischen den feindlichen, fesier gesialteten
Völkern unsere Exisienz (nicht nur das Reich, sondern unser Dasein als Volk)
aufs Spiel seHen.

Diese GesialL aber kann in Deutschland nicht von einem ErLrem her gewonnen
werden, dazu sind zuviel Resie alter SelbsiverwalLung vorhanden, zuviel 2ln-
säHe zu eigenem Wuchs im Geisiigen nnd im PoliLischen, zuviel ParLikulares,
das wesentlich isi. 2lus allen Epochen der deutschen GeschichLe sind unausgegli-
chene Rücksiände geblieben, die zu vernichten das reakLionäre ExLrem, zumal

62z
 
Annotationen