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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1932)
DOI Artikel:
Bernhart, Joseph: Der Mensch in der Gottlosigkeit: Eine Rede
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0776

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zerstörend hinab in den patrrarchalisch sicheren religiösen Grund. Da flntet
unser 18. Iahrhnndert hinüber, seine Ausklärung, sein Evangelium von der
Selbstmacht der Vernunst, sein Deismus einer von der Welt abgeriegelten,
aber zur Dispositwn gestellten Gottheit, sein Gott-ErsaH in der Mystik vom
Lnneren Licht des Menschen, und die Zivilisation löst sich vom lknterbau des
alten Glaubens, Sekten, große und kleine, wachsen als Ganzes znr Macht
einer Gegenkirche auf, der protestantischen Mission solgt im Anfang
des 19. Iahrhunderts die liberale Theologie, der dentsche Jdealismus, das
Hegelsche Weltsystem des zu sich selber kommenden Geistes, der nrcht Per-
son ist und nber das Individnum hinweg im Schritte der Nvtwendigkeit
seinen Weg macht, der Marxismus, der Positivismus und Materialismns
sranzösischer und deutscher Abkunst, endlich WieHsche und sein Troß von
kleinerem Format. Niun bezengt der Osten, was er vom Westen gelernt hat,
und quittiert uns in Reinschrift die Bildnng aus unserer Schule. Selten
hat uns die Värgangenheit ein Exemyel von solcher Klarheit ausgewiesen,
wie Gedanken Geschichte machen. Zm Ansang war die Tat? llnd vor
der Tat wäre nichts? Vor der Tat ist der Geist, aus dem getan wird.
Zm Ehristeutum heißt es: bit vsrduni esro kaeturn 68t — das Ilrwort ist
Fleisch geworden. Vom Bolschewismus — es ist wie eineParodie—kanues
heißen: Lt vsrda esro kaeta 8unt.

Es liegt in der Gerechtigkeit der Geschichte, nnd es ist einer der spärlichen
Züge ihrer sichtbaren Gerechtigkeit, daß ihr langer Atem einmal wieder
ausgibt, was er vormals eingesogen hat. Mun predigt nichts von den
Dächern, was nicht in der stillen Kammer stiller Gedanke gewesen ist.
Und Zeiten wie diese, Zeiten der Bedrängnis, in denen alle Tore nach dem
Freien ins Schloß gefallen scheinen, haben das Gute, daß alsdanu auch der
kleine Manu begreisen müßte, wie sehr ihm die Männer des Geistes und der
Bücher, unter ihnen auch die Windbeutel und die Abenteurer der Feder, sein
Kummerbrot versalzen können. Da wäre die Gelegenheit, zu erkennen, was
in der Welt das eigentlich Praktische ist: daß nicht das Machen die Geschichke
bewegt, sondern das Denken; daß nicht das Gemachte, die Dinge der Zivili-
sation und Kultur den Geist der Zeiten bestimmen, sondern die Gesinmmg,
die sie handhabt und gebraucht. Man kann auch durch das Kabel lügen oder
die Wahrheit sagen. Hätte die Maschine uns überwältigen könuen, wenn
wir nicht den Sinn dasür verloren hätten, was der Mensch ist, seine Würde,
sein Berus, seine Rolle gegenüber aller Dämonie der Nutur! Wo liegt das
Praktische? Zm Pragma! In der Entscheidung, die dem vermeintlich Prak-
tischen vorausliegt, in dem Erkeunen, aus dem das Handeln hervorgeht! Bei-
spielshalber: welche Rolle spielt in der mediziuischen Wissenschast, einge-
schlossen die Psychotherapie, die Pathologie, die Chirurgie, im Wandel der
Zeiten und heute die Frage nach der Natur des Menschenwesens! Das Prak-
tische geschieht nicht erst an der Hobelbank, nicht im Parteirat, nicht einmal
an der Börse, sondern im Parlament des Menscheninnern, in der Werkstatt
des Geistes, aus Kanzeln und Kathedern und überall, wo eines Menschen
Meinung über die letzten Fragen ins Wort und in die Tat ansschlägt. Die
deutschen Denker und sranzösischen Literaten, über denen die Bakunin, Herzen,
Lenin und Mussolini brüten, werden zu Schicksalen der Nationen, und

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