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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
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Wiechert, Ernst: Erzählungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0871

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schon lcchm waren und die Pslugschar wohl znm Lausendsten Male vor einem
Stein oder einer Wurzel aus der gekrümmten Furche sprang, überkam
es ihn von neuem, so daß er auf die erschöpfLen Pferde einschlug, dem Pflug
einen FußLriLL gab, lauL wünschend, daß der SaLan ihn hole und, ohne sich
umzuwenden, das Feld verließ, in seiner SLube ein paar Gläser BrannL-
wein hinunLerstürzLe und sich dann auf sein Lager warf, um in einen finsteren
und zornigen Schlaf zu stürzen.

<§s dunkelte bereits, als er mit einem biLLeren Geschmack im Herzen erwachLe
und, nachdem er sich ßill miL sich besprochen haLLe, in die Ställe ging, um
vor Feierabend nach Mensch und Tier zu sehen. Er sagLe kein WorL, als
er die beiden Pferde nichL vor der Krippe fand, füllLe im Hinausgehen
eLwas Hafer in seine Tasche und machLe sich heimlich davon, nm die Pferde
zu holen.

SpäL in der Nacht kam er heim. Pferde und Pflng waren nichL da. Er
fragLe den Knecht, den HirLen, er fragLe das Kind in der Wiege. Nwmand
war anf der gerodeten Heide gewesen. Sie zündeLen LaLernen an und gingen
hinaus. Ein schwerer Regen fiel, und was sie sanden, war die Fnrche, die
plöHlich endeLe, und der Stein, auf dem noch die Narbe der Pflugschar zu
sehen war. Nichts weiLer. Man sagt, daß sie zwei Wochen lang Tag
und NachL gesuchL häLLen und daß des Bauern Haar ergrauL sei darüber.
Doch verschwieg er vor jedermann, daß er am ersten Llbend, als er verwirrL
das leere Feld nmschriLLen hatte, vom Moor herüber eine Stimme gehörL
haLLe. „Mi—cha—el!" haLLe sie gernfen, und er hatte nichL gewußt, ob es
eines Menschen oder eines Tieres Stimme sei, und dann nicht einmal, ob es
nicht nur sein BluL gewesen, das ihm schwer zum Herzen floß. Doch war
Michael sein Taufname.

Und dann verschrieb er den Hof seiner Frau und ging still und ohne Ab-
schied davon, einen Stock in der Hand und einen grauen Leinensack auf seinen
gebeugten SchulLern. Er snchte nichL mehr. Er ging aus seiner FreundschafL,
bis an die Grenzen unserer Provinz, wo sie in jedem Jahr die Steine von
den Feldern sammeln, um Platz für den Pflug zu haben; und dort kannte
ihn bald jedermann. „Um Christi willen", sagte er, von einem Ackerrain
aufstehend, auf dem er SLeine zu einem Hügel getragen haLLe, „laß mich ein
wenig pflügen." Und nach dem Verwundern und Mißtrauen der erflen Zeit
war Freude ohne SpotL, wo der „Christusbauer" über das Feld kam und
das schwerste Tagewerk still und ohne Lohn zu fordern auf seine Schultern
nahm, so daß EnLLäuschung die Höfe befiel, die er ausließ oder bei denen er
wiederzukommen versäumte. Niemand erfuhr, wer er war, niemand, warum
er liLL.

An einem Tage des Iahres aber bat er, nicht um Christi willen, sondern um
seiner armen SeligkeiL willen, daß man ihn für eine Abendstunde lang den
Pflng ziehen lassen möge, einen GurL um seine SchulLern und eine unberührte
Iungfrau an den Handgriffen seines Pfluges. Und wiewohl er nm seines
unbekannten Schmerzes willen hochgeachteL war in seiner LandschafL, hatte er
viel Mühe nnd leidenschaftliche NoL, bis man sich seiner BiLLe erbarmte.
Und im dritten Iahre seiner Wanderung, in einer fremden Gegend, Lraf er
erst spät am Abend auf eine böse Barmherzigkei'L und mnßte geloben, drei

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