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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
DOI Artikel:
Bauer, Clemens: Kapitalistische Wirtschaftsordnung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0888

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talistischen Wirtschast, nicht aber über die Struktnr dieses Volnmens. Jn Wirk-
lichkeit vollzieht sich auch hier ein dauernder Wandel. Bestimmte Erroerbsbezirke, die
vorher dem Handrverk geradezu vorbehalten rvaren, gehen ihm infolge technischer
Neuerungen vft rasch verloren, aber auf der anderen Seite tut sich neuer Raum
fur handrverklichen Bedarf bzrv. handrverkliche Produktion auf. DaS bedeutet,
daß die traditionale Stabilität, die angeblich zum Handrverk als „vorkapita-
listischem" Element gehört, größtenteils verloren gegangen ist, daß es sich unbe-
dingt an dem großen Rhythmus der marktrvirtschaftlichen !f)roduktion auszurichten
hat, so daß die Handrverksbetriebe meist nur kapitalistische Unternehmungen der
untersten Größenordnung geworden sind. (fm ganzen gesehen, ändern also diese
beiden „vorkapitalistischen" Elemente nicht viel am kapitalistischen Grundcharakter
der heutigen Wirtschaft. Sie bilden aber doch ein schmales Randgebiet, und unter
diesem Gesichtspunkt deckt sich die heutige Gesamtrvirtschaft nicht völlig mit der ka-
pitalistischen Wirtschaft.

Wirtschaftspolitik und Gemeinrvirtschaft

Die staatliche und kommunale Wirtschafts- und Sozialpolitik ist hier nur unter dem
Gesichtspunkt zu betrachten, was für Veränderungen sie im System der kapitali-
stischen Wirtschaft hervorruft. Jhr Hauptgebiet ist erstens der breite Raum der
staatlichen und kommunalen Eigenwirtschaft in Gestalt ösfentlicher Unternehmungen
— man spricht daher gern vom „Wirtschaftsstaat", der sich neben dem „Steuer-
staat" ausgebildet habe —> und zweitens die staatliche Lohnpolitik und das Sozial-
versicherungssystem — hier spricht man mit Vorliebe vom „Sozialstaat". Jn
welcher Weise sind nun die Institutionen des „Wirtschaftsstaates" und des „So-
zialstaates" in die freie Marktwirtschaft eingebaut bzw. wie wirken sie auf den
Aufbau und Ablauf derselben?

Im Vordergrunde der Eigenwirtschaft stehen die sog. Versorgungsbetriebe, d. h.
Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung und die Verkehrsbetriebe. Man hat für
1927 errechnet, daß 20 Prozent des Aktienkapitals der deutschen Aktiengesellschaften
ösfentlichen Unternehmungen gehört. Für dasselbe (fahr ließen sich etwa 79 f)ro-
zent der sämtlichen Gaswerke als öffentliche Unternehmungen feststellen, und in
der Elektrizitätswirtschaft ist die Betätigung und der Einfluß von Kommunen,
Ländern und Reich nicht geringer: 22 Prozent der Betriebe sind kommunal, 2H Pro-
zent staatlich bzw. im Besitz des Reiches und Zo Prozent gemischtwirtschaftlich.
Ahnliche Zisfern ergeben sich bei den Kraftwagenlinien und Straßenbahnen:
-46 Prozent bzw. 74 Prozent aller Betriebe sind hier öffentlich. (fedenfalls erlangt
dadurch die ösfentliche Hand als Arbeitgeber eine große Bedeutung; schon 192Z
standen 11 Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Daneben stehen Berg-
werksunternohmungen von immerhin bedeutender Produktionsleistung: im Ruhr-
steinkohlenbergbau entfallen etwa 10 Prozent der Produktion auf staatliche Gruben.
Dazu kommt das nicht immer größenmäßig erfaßbare System der Industriebeteili-
gungen deS ReicheS und der Länder (für das Reich zusammengefaßt in der VMlG
alö Holdinggesellschaft). Es handelt sich hier meist um die Vollendung von Ent-
wicklungstendenzen der Vorkriegszeit. Neu dagegen ist die Betätigung der
öffentlichen Hand als Bankier großen Ausmaßes, die schon vor der
jetzigen krisenmäßigen Überspannung in Erscheinung getreten ist. Sieht man ab
von der speziell mit Währungsaufgaben betrauten Reichsbank, so liegen in Staats-
banken, Reichskreditgesellschaft, Landesbanken, Girozentralen, Sparkassen und zen-
tralen Genossenschaftsbanken eine lange Reihe öffentlicher Bankinstitute vor, deren
Kapitalvolumen einen ganz beträchtlichen Anteil darstellt am Gesamtvolumen des
von den Bankinstituten insgesamt bewirtschafteten Kapitals; für Mitte 19Z0 wurde
der Anteil der von öffentlichen Banken verwalteten Kapitalsumme auf ^6 Prozent

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