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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
DOI Artikel:
Bauer, Clemens: Kapitalistische Wirtschaftsordnung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0890

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tvirken als Kapitalbildner, aber zunachst durch HerauSnahme bestimmter Kapital-
nnd EinkommenSteile anS dem Markttoirtschastsablanf. Erst dnrch eine Wieder-
anlage dieser Kapitalien tverden sie wieder in den Marktwirtschastsablaus einge-
gliedert auf dem Wege über den Kapitalmarkt. Wie bedentsam diese Um-
ordnnng quantitatw ist, mag daran dentlich werden, daß das Gesamtvermögen
der Kranken-, Jnvaliden- und Angestelltenversicherung allein Anfang 19ZO
rund Millionen Mark betrug. Unleugbar stellt das Gesamtsystem der sozial-
politischen Einrichtungen die sreie Marktwirtschast „unter ein gesetzlich und organi-
satorisch versestigtes Normensystem". Und G. Briess hat tressend die Folge dieser
Umordnung sormuliert: „die Wirtschast ist kapitalistisch nur noch soweit vollziehbar,
als sie unter diesem sozialen Normensystem privatwirtschastlich ertragreich bleibt."

Kartelle, Gewerkschasten und Genossenschaften

Eö sragt sich nun noch, welche kapitalistischen Elemente und Bildungen fur die
freie Marktwirtschaft von Bedeutung sind. Auch hier sehen wir von den Motiven
dieser Bildungen ab und betrachten lediglich ihre Eigenart und ihre Wirkung inner-
halb der freien Wirtschaft. Bedeuten die großen Kartelle, bedeuten die Gewerk^-
schasten nicht daS Ende dieser Marktwirtschaft, eine Uberwindung „von innen her-
aus", die Aufhebung der sreien Konkurrenz? Und ist nicht mit den Ge-
nossenschasten ein neues, völlig widerkapitalistisches Element in die Wirtschaft ein-
getreten? Wer natürlich die Gebilde, die man gern unter der Bezeichmmg „Markt-
verbände" zusammensyßt, am ^zdealtyp der absoluten liberalen Konkurrenzwirt-
schaft mißt, wird auch hier den kapitalistischen Charakter unserer heutigen Wirtschaft
bestreiten. Von individueller Konkurrenz ist keine Rede mehr, die Marktparteien
treten organisiert aus und der ganze WirLschastSablauf wird bestimmt von der
Konkurrenz großer Gruppen und Verbande. Jn den wichtigen Jndustrien ist die
Produktion sast völlig kartellmäßig gebunden. Man hat sür igZO den Anteil der
gebundenen Preise innerhalb deS gesamten Preisgefüges auf 20—2Z Prozent ge-
schätzt; dabei muß aber bedacht werden, daß gerade die Preise stärkster wirtschast-
licher Bedeutung sich in dieser Ouote besinden. So wird durch Produktions-
wie Handelsverbände die freie Preisbildung als Marktregulativ in weiten Bezirken
des Marktes eingeengt und geradezu ausgeschaltet. Aber andererseits bleibt trotz
dem Zug nach Monopolen immer noch die Möglichkeit der Außenseiterbildung.
Jm Durchschnitt ist aber auch hier wie im Gesolge der staatlichen Sozialpolitik und
Wirtschaftssührung rmn ein gewisser Rahmen geschassen für den Ablauf des Preis-
bildungsmechanismus, und ein Teil der Preisbildung vollzieht sich tatsächlich nach
außerwirtschastlichen und machtmäßig bestimmten Gesichtspunkten.

Der Bindung der Preise innerhalb von Produktion und Handel entspricht ei'ne weit-
gehende Bindung aus dem Arbeitsmarkt, an dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer
ebenfalls in Verbänden organisiert erscheinen. Die Gewerkschasten sind in
allererster Linie Kinder der kapitalistischen sreien Wirtschast, ihr Ziel: innerhalb
dieser Wirtschaft eine möglichst günstige Anbieterposition am ArbeitSmarkt zu er-
reichen. Sie gelangen zu einer Bindung des ArbeitspreiseS, so daß eine doppelte
Einengung bzw. Bindung ersolgt: erstenS in Gestalt der gewerkschaftlichen Lohn-
politik, zweitens in Gestalt der staatlichen Lohnpolitik mit dem System von Schlich-
tung und Sozialversicherung. Jm ganzen heben aber dennoch Kartelle und Ge-
werkschasten die Marktwirtschaft nicht auf, sondern geben ihr eine neue Art deS
FunktionierenS, allerdings mit starker Bindung.

So sehr vielsach der Genossenschaftsbildung in ihren Ansängen das
Ziel einer Überwindung deS KapitaliSmus gesetzt worden ist, so wenig ist sie
praktisch „Ferment der Dekomposition" geworden. Ja ein Teil der Genossenschaften,
besonders die landwirtschaftlichen Absatzgenossenschasten, üben gerade die Funktion

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