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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
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Linfert, Carl: Französische Kunst in London, [2]: aus Anlaß der großen Ausstellung in der Königlichen Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0893

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Die kalte, oft ebenso leichte wie ausgezehrte Schönheit französischer Werke erscheint
hier am gedrängtesten. Es ist eine bittere Rnhe darin. Man rnnß nicht sagen)
daß das leicht geht, roaS hier oft nur noch gesättigt und geizig, roie in sich hinein
genießend, aussieht. DaS „Französisch-Sein" hat ztoar Chancen einer nackten,
verachtungSvoll förrnlichen, daher oft leeren Billigkeit. Aber tiefer hinein ist dieS
auch wieder billig und recht, für gewöhnlich nicht leicht erkauft. DaS Bittere in
dieser genußvollen Strenge ist ein Gefühl von Gefahr. Daher geht nie die Lust
des GestaltenS bis zur äußersten Spannung durch, wie in Jtalien zumeist. Es
liegt vielmehr ein bitterer Zweifel in aller Formvollendung, eine Ahnung davon,
wie gefährdet alle formende Ordnung der Kultur ist, wie sehr bloß aufgetragen
auf einem Grund sengender Hitze, immer wieder aufbegehrender Barbarei. DaS
erweiterte sich zur deutlichen KenntniS der zerstörend hochdrängenden Mächte deS
saatlosen Umpflügens, des von vorne und von neuem Leben-WollenS. Eben sie gab
dem festgezogenen Band einer reinen, regelnden Form zugleich das Bittere und
Strenge. Es ist ein Mittelding zwischen weich lebendigem Lächeln und fanatischer
Blässe. ^m französischen Stil pulsiert fast stets jene bittere, von Anfang an
eingesetzte, zugleich grell entschiedene und zwielichtig abschätzende Skepsis gegen die
SicherungSmöglichkeiten der Kultur. Denn die Kultur ist zwar eingelebt, aber nur
durch Llberschwang der Konvention zu halten. Aus diesem Gefühl herauS kommt
die kühle, spitze und oft schrille Eleganz, die in allen Stilepochen der französischen
Kunst sich gleich geblieben ist.

PathoS der Vernunft

Das Verhalten-Düstere, mitten in der Klarheit, wird dann im 17. Jahrhundert
zum eigentlichen Gewicht der Bildinhalte. Es fängt sonderbar an: neben den
höfischen Starrbildern die graugrüne, erdige Bauernmalerei der Brüder Le Nain,
deren realistische Deutlichkeit bis zu Courbet nicht wieder aufgenommen wurde.
Gleichwohl ist auch hier die behende, Lrocken fichere Menschenart auf dem Weg,
die den scharfen, etwas blinzelnden Spähblick der Franzosen hat und bisher nur in
der Würde der Bevorzugten erschien. Landleute stehen, mit sich beschäftigt und
doch fest in Form, als müßten sie sich einem Fremden zeigen, vor der Landschafk
(Slg. Neeld, Chippenham), die wiederum echt französisch, nirgends unheimlich
vor den Augen dahinfließt: zierliche Llberblicklandschaft, schräge, hüglige Ebene
und doch auch Ausschnitt wie auf einen Blick. Ein enges, sogar dürres, aber nicht
niedrig verkommenes Leben, auch hier regiert eine formende Ordnung; das Ge-
wächs ist farblos, aber auch stark, stirbt weniger, als daß es in den Tod hineia
vertrocknet. Der Bauer hat immer in Frankreich als der erfüllteste Typ des Men-
schen gegolten, wenn man dabei auf die Lebensform im ganzen sieht. Der Bauer
ist mißtrauisch, obwohl oder weil er die große, bisweilen auch trügerische Si-cherung
der Erdgebundenheit besitzt. Eben diese eine von seinen Eigenschaften ist in die
Kulturformen Frankreichs eingegangen, und fast nie das Dumpfe, Bluthafte und
Festgelegte, das sonst oft mit dem Bauernleben in Verbindung gebracht wird. Dies
scharfblickende Mißtrauen findet sich auch in der Kartenspielergesellschaft des
erst seit kurzem beachteten Dumesnil (Slg. Landry, Paris), der wie die Le Nain
von der krassen Licht-Schatten-Malerei des Caravaggio ausgegangen ist. Nur
wird bei ihm die großflächige Buntheit so dünn und prall, daß man glaubt, sie
würde die Umrisse überspülen; so bis ins Letzte genau wlrd die Oberfläche der
Dinge hier beobachtet. Ähnlich hat auch ein Bild des Ateliers von Antoine Le Nain
diese derbe und genaue Größe der Figuren.

Doch immer ist die Klarheit beschattet von der sinnlichen, oft kurzen und dunklen
Freude am Stoff. So ist selbst Poussin und die verschaute, nie bis ins Letzte
vertrauende oder „naturgläubige" Heiterkeit seiner Bilder zu verstehen. Deshalb

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