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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
DOI Artikel:
Briccius, W. A.: Unbequeme Zahlen zur Arbeitslosigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0903

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auf das Metallgewerbe und auf Baufacharbeiter. Bemerbenswert ist das inr Ver-
lauf der Krise verfchiedenartige Ternpo und Ausmaß der konjunkturellen Ver-
schlechterung der Arbeitslosigkeit. Jn der gleichen Zeit, in der sich die Arbeits-
losigkeit der gesamten geroerblichen Arbeiter verdoppelt hat, ist sie im Bergbau auf
das Sechsfache, in der chemischen Jndustrie auf das Bierfache, in der Metall- und
Textilindustrie auf daS Dreifache gestiegen. Jm Baugewerbe war im Wmter 1929
bereits ein folcher Tiefstand erreicht, daß eine wesentliche Verschlechterung uber-
haupt nicht mehr in Frage kam. OMillionen Arbeitslose, 12 Mil-
lionen von der A r b e i t s l 0 f i g k e i t ergriffene Perfonen, die
Hälfte der Jndustriearbeiterschaft erwerbslos — das ist das
düstere Bild des StandeS der deutschen Arbeitslosigkeit!

Mit den Urfachen und Erklärungen der Gründe der Arbeitslosigkeit hat man sich
eingehend befaßt. Soweit sie allgemeiner und internationaler Art sind, ist man
sich ziemlich einig. Strittig sind jedoch die besonderen Momente, die zu der außer-
gewöhnlichen Überhöhung der Arbeitslosigkeit in Deutschland beigetragen haben. Alle
deduktiven Beweisführungen haben nicht überzeugend zu wirken vermocht, und so ist
man in einer ungelösten Problematik stecken geblieben. Besonders sind es
zwei stack umkämpfte Fragen, die durch die Spaltung in Arbeitgeber- und Ar-
beitnehmerkreise und die damit zusammenhängende Art der Beweisführung noch der
Klärung bedurften. Es ist die Frage des Einflusses der Einführung
vonMaschinen aus Rationalisierungsgründen und die Frage der tariflichen
Lohnpolitik der Gewerkschaften.

Bevor man jedoch den Einfluß dieser beiden Faktoren erfassen kann, muß man für
den zu untersuchenden Zeitabschnitt die natürliche Vermehrung der Arbeitskräfte
in Betracht ziehen. Trotz dec Kriegsverluste in der Höhe von rund 2 Millionen
waren in Deutschland 192Z über ZMillionen Erwerbsfähige mehr
vorhanden als 1910. Der ZuwachS seit dieser Zeit bis 19z! betrug 2,Z M i l-
l i 0 n e n. Da jedoch nicht alle im erwerbsfähigen Alter stehenden Personen erwerbs-
tätig sind, so beträgt der Zuwachs an tatsächlich Erwerbswilligen i,tj Millionen.
Da diese so gut wie völlig den Arbeitnehmern in Landwirtschaft und Gewerbe zu-
gewachsen sind, so verteilt sich der Zugang mit 200 000 auf die Landwirtschaft
und mit 1,2 Millionen auf das Gewerbe; davon treffen auf die ^ndustrie allein
610000. Mit diesem Mehr an Erwerbstätigen war also ohne jede Krisenerschei-
nung als normale natürliche Vermehrung des ArbeitSmarkteS zu rechnen, und die
deutsche Bolkswirtschaft dafür aufnahmefähig zu machen.

Jn diesen Zeitabschnitt fällt nun eine Rationalisierungsbewegung
von bisher ungekanntem Umfange. Zwar hat die EntwicklungSgeschichte der Jn-
dllstrieländer auch früher RationalisierungSepochen gekannt, die z u n ä ch st zu
Arbeitslosigkeit und Verelendung der Arbeiterschaft führten. ^edoch wurden gleich-
zeitig die Kräfte ausgelöst, die eine Wiedereingliederung der freigesetzten Arbeits-
kräfte ermöglichten. Von der Erfindung der Dampfmaschine bis zur Maschinisie-
rung der letzten Jahrzehnte ist aber allen Epochen gemeinsam, daß entweder hand-
werkliche Gebrauchsgütererzeugung durch maschinelle Produk-
tion ersetzt wurde oder daß es sich um umwälzende Erfindungen handelte, die
neue Märkte erschlosfen. Jm Gegensatz zu früher hat sich der jüngste Rationali-
sierungsvorgang im wefentlichen auf die Produktionsgüterindustrien
beschränkt. Diese technische Rationalisierung wurde hauptsächlich mit Auslands-
kapital durchgeführt. Sie konnte nur dann einen wirtschaftlichen Sinn haben,
wenn es gelang, eine dauernde Steigerung des ExportS zu erreichen.
Dieser Versuch muß jedoch wegen der völligen Zerstörung der Welthandelsbezie-
hungen als gescheitert angesehen werden.

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