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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 12 (Septemberheft 1932)
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Lebens: unter vier Augen mit den Fran-
zosen, die zudem von einem Herriot, d. h.
einem Mann der „Linken", vertreten
waren. Er selbst em Kanzler der „Rech-
Len". Letzte Nachrichten sagten, daß die
Franzosen mürbe seien. Er würde sie
durch Liebenswürdigkeit entwafsnen, duvch
Vernunft gewinnen. Diese Konstellation
mußte ausgenützt werden. Man mußte
nntürlich Vorleistungen an Dersöhnlich-
keit zugestehen, aber dann mußte es klap-
pen. Außenminister von Nenrath dage-
gen war ausgesprochen pessimistisch. Er
traute den Franzosen nicht übern Weg,
hatte auch von Rom nnd London her
andere Ansichten und Ersahrungen. Aber
Herr von Papen schob sich in den Vor-
dergrund und markierte zunächst den star-
ken Mann. Jnnerlich dachte er schon
darüber nach, wie er von dem Brüning-
schen Nein herunterkommen konnte. Die-
ses harte Nein, so hatten ihn die Fran-
zosen und Engländer wissen lassen, hatte
eine Lösung bisher verhindert. Anstatt
also dieses Nein, hinter das er das ganze
Dolk bringen konnte, als Basis zu be-
nützen, war es ihm unbequem. Wie
schmählich er schließlich davon herunter-
rutschte, wie ihm Ehrensorderungen
Deutschlands als Eselsbrücke dazu die-
nen mußten, auf den innerlich längst zu-
gestandenen Milliarden zu landen, ist
bekannt und gehört in ein andereS
Kapitel.

3-

Ein Drittes trug zur Niederlage bei.
An den Ketten der Weltwirtschastskrise,
die ihren Ausgang von dem deutschen
Tief genommen hatte, hatten wir die
Alliierten nach Lausanne geschleppt. Bor
allem die Engländer, die durch ihre Ka-
pitalinvestierungen in Deutschland und
Österreich auf Gedeih und Derderb mit
uns verhunden waren. Auch die Fran-
zosen sühlten schon den würgenden Strick
der Krise. Wer das bis zum Ende durch-
dachte, brauchte den Abbruch der Kon-
ferenz nicht zu fürchten. Denn er hatte
ja die Wasse der Zahlungöeinstellung
oder Verminderung auch sür die pri -
vaten Auslandsschulden in der
Hand. Freilich, machte man davon Ge-
brauch, dann mußte man Konsequenzen
ziehen, die die deutsche Wirtschastsstruk-
tur für immer beeinflußten. Es ergab
sich daraus eine antikapitalistische Poli-
tik, nicht dogmatischer Art, aber immer-
hin eine Loslösung vom westlichen, vom

Siegerkapitalismus. Vor dieser Hürde
brach das Papensche Pferd aus. An der
Heiligkeit der „privatenAuslandsschulden"
wollte er,wie übrigensauchHitler,nichtrüt-
teln. Das lag in derLinie seiner sranzö-
sisch-westlichenOrientierung. AlsAnhänger
einer weltwirtschaftlichen Lösung, der an
die Utopie einer Solidarität der Welt-
wirtschaft und des Weltkapitalismus
glaubt, der auf das Wunder eines zu-
rückkehrenden Vertrauens, einer Ankur-
beluug der Weltwirtschaft wartet, durfte
er nicht an die Unterschriften unter die
privaten Wucherverträge rühren, obwohl
unsere „private" Auslandsverschuldung
letzten EndeS eine Folge deS Tribut-
wahnsinns ist. Als die Engländer Pa-
pens in dieser Beziehung sicher wa-
ren, atmeten sie auf. Deutfchland aber
hatte die wirksamste Waffe nicht ge-
braucht. Wirkte sich im Unterbewußten
die Jnternationalität des KapitaliSmuS
aus?

Zwei weitere Niederlagen folgten auS
dieser Einstellung: der Verlust Öster-
reichs und die Abrüstungsniederlage.
Wenn dieser Aufsatz in der Hand un-
serer Leser ist, wird daS Schicksal
Österreichs im französischen Sinn ent-
schieden sein. Papen und seine De-
legation kümmerten sich offenbar über-
haupt nicht darum, daß im gleichen
Lausanne und im benachbarten Genf
Österreich vergewaltigt und zum An-
schluß an Frankreich gezwungen wer-
den sollte, durch das berüchtigte Lau-
sanner Anleiheprotokoll, das ihm bis
igZ2 selbst die wirtschaftliche Annähe-
rung an Deutschland verbietet. Auch
Osterreich hatte die Moratoriumswaffe
in der Hand. Es hing von Deutschland
ab, ob es sie rechtzeitig gebrauchen
würde. Wenn sich Deutschland nicht an
dieses Kapitel wagte, konnte Österreich
es erst recht nicht. Papen sah weder
den innersten Zusammenhang zwischen
allen vorliegenden Problemen, noch die
Solidarität der vom Westkapital aus-
gesogenen mittel- und südosteuropäifchen
Völker. Ohne außenpolitische Gesamt-
konzeption überließ er Österreich seinen
Gläubigern und — Frankreich. Dre neue
Anleihe ist politisch und wirtschaftlich
der brutalste Betrug an einem kleinen
Staat, und gleichzeitig eine vernichtende
Niederlage unserer Südostpolitik. Denn
nun ist Österreich auf Leben und Tod

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