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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 6 (Märzheft 1932)
DOI article:
Alverdes, Paul: Denkrede auf Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0406

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fer und eigentümlicher beglücken konnte, als das Gelingen des schönsten
Gedichkes.

Zugleich war mit dem DichLer, dem Künstler in ihm allmtchlich eine tiese
Äerwandlung vorgegangen. Er hatte in jenen Jahren nichk ausgehört, an
Nomanen nnd Dramen zu arbeiten; und Gedichte zu machen, seinen Kummer
und seine Enkzückung unmittelbar in Versen zu verströmen, das gehörte ihm,
der sich mit Stolz einen wahren Gelegenheitsdichker nannte, gehörte ihm zu,
wie das Einziehen und Ausstoßen des Akems. Aber die großen Werke,
der Wilhelm Meister, die Iphigenie in Versen, der Egmonk, der Tasso,
vom Faust ganz zn schweigen, waren noch Fragmente geblieben. Er suchte
und begehrte nach einer Formenwelt, welche ihr Glück und Genügen in ihrer
eigenen Vollkommenheit hatte. Wo hätte er sie anders sinden sollen, als in
der Vergangenheit der südlichen Völker, als in der Kunst der Griechen und
Römer und in ihrer Erneuerung durch das Italien der Renaissanee? Einst-
mals als junger Student hatte er in einem Hymnus aus den Erbauer des
Münsters zu Straßburg die deutsche Baukunst gegen die welsche glühend
verteidigt. IeHt wollte er von dem gotischen Wesen, das in die Wolken
strebte und nach etwas zu greifen oder etwas auszudrücken schien, das außer
ihm selber war, nichts mehr wissen, und jeht äußerte er sich wohl Vertranten
gegenüber absällig über manchen regellos schwärmenden Sgrechgesang seiner
ersten poetischen Iugend, der ihn wie die Äußerungen eines halben Irren aw
mukete. Iene Südlichen aber, unter einem nebelsreien, ewig heiteren Himmel,
sie waren die eigentlichen, die echten Menschen dieser Welt; was sie hervor-
brachken an Gedichten und Bildwerken, an Bauten und Gemälden, es war
selig in ihm selbst, wie es die Nnknr war, die kein Draußen und kein Drinnen
kannte, und keinen anderen Willen, als sich selber schön zu verwirklichern
Immer unwiderstehlicher wuchs die Sehnsucht nach ihrem Land nnd Himmel
in seiner Brust. Es war, als suche er die volle Bestätigung seiner selbst, rrnd
als begehrte er den ganzen Wert, den er in zehn langen Iahren der Be-
scheidung und der Begrenznng dieser Welt verliehen, als begehrte er ihn
jetzt hundert- und Lausendsach zur Freude an seinem eigenen Werte vergolten
zu sehen. Er wollte sich, wie er es später aus eine saft krockene Weise in
einem Brief an den Herzog ausdrückte, von den physisch-moralischen Übelrr
heilen, die ihn zu quälen begannen und zuletzt unbrauchbar machten, und
wollte seinen heißen Durst nach wahrer Kunst stillen.

Er verläßt Freundin und Freund, denen er gedient hatte, wie kein Freund
zuvor diente, und heimlich, unter einem erborgten Nnmen, stiehlt er sich in
Eilposten durch Bayern, über die Alpen davon nach Italien, mit dem ein-
zigen Ziele Rom im Herzen. In einigen Notizen von diesem Reiseweg
begegnen wir zum erstenmal seiner Sorge, es möchte ihn ein vorzeitiger Tod
sein Ziel doch nicht mehr erreichen lassen. Er ahnte, er wußte, was der
Aufenthalt in jener Stadt sür ihn bedeuten würde: sollke sie doch, angesüllt
mit den Denkmälern der Antike und den Zeugnissen der letzken wahrhast
großen Bangesinnung einer jüngeren Welt, ihn dem eigenen Traum und
Wunsch vom wahren Menschen lebendig begegnen lassen. Nvch drei Tage-
reisen vor Nom kann er es mcht glauben, daß es Wirklichkeit werden sollte,
und fürchtet, noch auf der letzten Straße zu sterbery Aber er kommt hin,

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