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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 9 (Juniheft 1932)
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Einstein, Alfred: Situation der Oper
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0627

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chischen, russischen ganz absehen! Die SpannweiLe reichL von der bürger-
lichen Oper etwa von der GaLtung des „Waffenschmied" bis zum Festspiel,
dem „Ring", oder dem Bühnenweihfestspiel. Das Bühnenhaus verwandelt
sich seden Tag; heuke: UnterhalkungsstäLte, morgen: Tempel. In Italien
jst es immer Opernhaus, im künstlerischen und gesellschaftlichen Srnn. Für
den heutigen InLendanLen aber entsteht der Zwang, sich zu entscheiden: ob
er eine „museale" Oper pflegen oder Gegenwartsoper Lreiben will. Dieser
Zwang ist etwas Rkeues und deutet auf eine ganz veränderte Lage. Er deutet
eben doch daraüf hin, daß ein neues Publikum vorhanden ist, dem der Be-
griff der Oper als solcher fragwürdig geworden ist. Wir werden auf die
MöglichkeiL, eine museale Opernkunst zu pflegen, später noch zu sprechen
kommen müssen. Aber die SchwierigkeiL, GegenwarLsoper zu treiben, Zeit-
kunst zu fördern, kann man vor Augen führen, wenn man eine Reihe von
Opernwerken der letzten Iahre auf ihren Sinn im Rahmen unserer Be-
trachtung charakterisiert und einordnet. Auf Vollständigkeit ist es dabei
nicht abgesehen. Nur ein paar Lypische oder symptomatische Beispiele sollen
herangezogen sein. Über den Kunstwert dieser Werke soll dabei nicht das
Geringste oder möglichst wenig ausgesagt werden, nur etwas über ihre
Bedeutung für die gegenwärtige Situation.

An dem einen Ende der Opernproduktion der Gegenwart steht das, was man
egozentrische Oper nennen kann. 2ln dem anderen die agitatorische Zeitoper,
die eine 2lbart — ich will nicht sagen: ein Surrogat für die echte Volksoper
ist. Um die ungeheuerliche Spünnweite des GegensaHes zu zeigen, seien zwei
Operntitel genannt: „Von heute auf morgm" von Arnold Schönberg und
„Mahagonny" von Brecht und Weill. Dazwischen liegt noch genug, genug
auch des GegensäHlichen.

Schönbergs Gesamtwerk kann man wohl esoterisch nennen. In unserem
Zusammenhang ist es asozial; und eine asoziale Oper gibt es nicht, sie kann
zu ihrem 2lufbau, zu ihrer Existenz der Gemeinsamkeit zwischen Darstel-
lungsapparat und Publikum uicht entbehren. Schönbergs erfolgreichstes
Bühnenwerk, „Die glückliche Hand", war die musikalisch-visionelle Gestal-
tung eines ganz einmaligen, wenn auch Lypischen Traumerlebnisses, das aber
Mit allen subjektiven Beiläufigkeiten vorgeführt wurde. In „Von heute auf
morgen" hat Schönberg wenigstens für sein Libretto den Vorwurf der Ego-
zentrik, im Sinn des Theaterbesuchers: der Unverständlichkeit vermeiden wol-
len. Es hat höchstens in seiner Trivialität etwas Traumartiges, Unwirk-
liches. 2lber mit diesem Tert steht die Musik im denkbarsten Widerspruch.
Sie ist so künstlich wie nur möglich; der Gesang eine 2lrt stilisierter Rkatu-
ralismus; das Orchester ein in Lausend Einzelwirkungen zersplitterter Kom-
mentar; formale Bindungen der Gesamtanlage sind nur mit dem 2luge zu
erkennen, nicht mit dem Ohr. Für wen kann Schönberg dies Werk ge-
schrieben haben? Es ist reine Selbstbefriedigung. Es bedeutet so gut wie
nichts 'im Ringeu um eine neue Opernsorm, um eine neue Opernleben-
digkeit. Man denkt unwillkürlich an Ludwig II. von Bayern, der in
seiner Königsloge einsam sich „Lohengrin" oder „Parsifal" vorspielen läßt.
Nvr siHL in unserem Fall iu der Loge Schönberg, der sein eigenes Werk
anhört.

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