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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0344

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die Kunst des 19. Jahrhunderts und — 0 Stunden über die
der Gegenwart gelesen wurden. Es scheint also an jener
Stelle für selbstverständlich angesehen zu werden, daß
sich die Hochschulen wohl auf anderen Wissensgebieten
um das zu kümmern haben, was in der Gegenwart vor-
geht, — daß aber die sehr merkwürdigen und aufregen-
den Dinge, die sich heute in allen Künsten und auf den
Grenzgebieten der Künste begeben, keinerlei Beachtung
verdienen. Wahrscheinlich findet der betreffende Referent
alles, was heute künstlerisch entsteht, abscheulich und be-
langlos.

Vielleicht ist der vorliegenden Schrift ein anderes Schick-
sal beschieden. Ihr Angriffsziel ist ein etwas anderes: ihr
kommt es darauf an, die Kunstgeschichte selber anders,
von der Gegenwarf aus zu orientieren. Gantner ist der
Überzeugung, daß ohne lebendiges Gefühl für die Kunst
der Gegenwart kein echtes Verständnis für die Ver-
gangenheit zu gewinnen sei und fordert daher für alle
kunstgeschichtliche Lehre als eine Art Vorlehre „die ge-
naue Beschäftigung mit den künstlerischen Fragen der
Gegenwart". „Das Erlebnis einer wirklichen künstlerischen
Totalität, der Gegenwart — gleichgültig wie man sie in
allen Einzelheiten beurteilt — ermöglicht erst das Erlebnis
der nun zu erfühlenden Totalität in der Vergangenheit."
Diese Forderung — „die Vergangenheit von der Gegen-
wart her zu durchleuchten" — ist auch für den beherzigens-
wert, der ihr nicht in alle Konsequenzen zu folgen bereit
ist. Wenn Gantner behauptet, daß das künstlerische Mit-
erleben, das Voraussetzung jeder kunsthistorischen Arbeit
sei, nirgendwo anders als an der eigenen lebendigen
Kunst erweckt, gewonnen und geschult werden könne, so
steht dem die Tatsache entgegen, daß ein großer Teil der-
jenigen Kunsthistoriker, denen man unmöglich die Fähig-
keit zu künstlerischem Miterleben abstreiten kann, zur
Gegenwartskunst nicht das mindeste Verhältnis hat, —
v/enigstens in der heute auf den Hochschulen herrschen-
den Generation (in der jüngeren Generation scheint es in
dieser Hinsicht etwas besser zu stehen). Die Folge dieses
Mangels ist sehr häufig ein unerträglicher Hochmut der
Gegenwartskunst gegenüber: als wenn jeder dieser Kunst-
historiker selber die sixtinische Kapelle ausgemalt hätte, —
während sich das beste von dem, was heute gemalt wird,
wahrhaftig vor der geistigen Leistung der Kunsthistoriker
nicht zu verstecken braucht! Und es liegt ein gewisser

Widerspruch darin, wenn Gantner einerseits jene Forde-
rung aufstellt und andererseits vor dem Irrtum warnt, „es
ließe sich dieser Gegenwart mit Begriffsbestimmungen der
Historie ohne weiteres beikommen". Die Warnung ist be-
rechtigt, — aber sie gilt umgekehrt ebenso: auch der Ver-
gangenheit ist nicht ohne weiteres mit aus der Gegenwart
gewonnenen Begriffen beizukommen. Ein Beispiel: Gant-
ner vermißt in der Architekturgeschichte bisher die Erkennt-
nis, daß es das, was man heute den „Serienbau" nennt,
zu allen Zeiten gegeben habe, und er verweist auf den
„Hausplan der Römer, den Klosterplan der Benediktiner,
den Kirchenplan der Zisterzienser und der Jesuiten, den
Tempelbau der Griechen". In all dem sieht er die Herr-
schaft eines „Typus", sicher mit Recht, — nur daß eben
zwischen „Typus" und „Serie" ein grundsätzlicher Unter-
schied besteht, dessen Leugnung historisch genau so falsch
ist wie es die Behauptung wäre, daß es früher in der Bau-
kunst nur individuelle Gestaltung gegeben habe. Es kommt
gerade auf den Unterschied an: die „Serie" hängt zusam-
men mit der Tendenz der Gegenwart zur Mechanisierung
und Normierung, die es in der Vergangenheit nicht ge-
geben hat. Eine gewisse Annäherung an die „Serie" sind
einige wenige Aufgaben aus früherer Zeit wie etwa die
Fuggerei in Augsburg oder die Häuser für die Soldaten in
Potsdam; alles andere ist „Typenbau" gewesen, und inner-
halb dieser Typen gab es für Bauherrn und Baumeister un-
endliche Möglichkeiten der schöpferischen Variation.

Dies Beispiel beweist aber zugleich, wie fruchtbar es ist,
wenn die Kunstgeschichte mehr als bisher, d. h. also nicht
nur gelegentlich und „herablassend", sondern mit voller
Erkenntnis des Wertes der Gegenwart diese und die Ver-
gangenheit in Beziehung bringt. Und deshalb hat Gant-
ner mit seiner Grundthese durchaus recht, wie er auch
darin recht hat, daß er von der Kunstgeschichte fordert, sie
solle die bisher übliche Isolierung des Kunstwerks als eines
rein ästhetischen Objekts zugunsten einer vielseitigeren
Betrachtung fallen lassen. Deshalb ist es nicht notwendig,
sich der „soziologischen" Betrachtungsweise auf Gnad
und Ungnad zu verschreiben — die Bedenken hiergegen
sind an anderer Stelle dieses Heftes ausgeführt. Aber es
gibt noch eine Fülle anderer Kategorien. Lernt die Kunst-
wissenschaft sich ihrer zu bedienen, so hat sie noch ein
weites und fruchtbares Arbeitsfeld und damit ein langes
Leben vor sich. W. R.

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Berichtigung

Im letzten Heft haben wir die
Kant-Garage, Berlin, abgebildet;
leider ist uns dabei ein Versehen
unterlaufen, für das Erdgeschoß
wurde ein Grundriß veröffentlicht,
der nicht die ausgeführte Fassung
darstellt. Da gegenüber dem im
letzten Heft abgebildeten Grund-
riß vor allen Dingen die Einfahrt
verändert wurde, bilden wir hier
den Grundriß des vorderen Teiles
des Gebäudes mit der Einfahrt in
der ausgeführten Fassung ab.

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