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Die Gartenkunst — 15.1913

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Nr. 11
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Rothe, Richard: Felsengartenbetrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28103#0170

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162

DIE GARTENKUNST.

XV, 11

Granitfelsformation eines Abhanges auf der Insel Mount Desert.

Villenviertel entstehen, in denen die Gartenkunst ein
reiches Feld der Betätigung findet. Sehr viel Neues
ist mir in den letzten Monaten zu Gesicht gekommen,
darunter auch erfreulicherweise Eigenartiges, welches
sehr wohl einen modernen künstlerischen Maßstab ver-
trägt. Ein Sondergebiet, auf dem Entgleisungen noch
die Regel sind, ist bisher die Felsgartenanlage ge-
blieben. Die Begeisterung über die vielfach gelungenen

Vorführungen auf der letzten Lon-
doner internationalen Ausstellung
war seinerzeithier drüben eine nahe-
zu unbegrenzte. Trotzdem ist man
heute im großen ganzen noch nicht
einmal über den unförmlichen Stein-
haufen hinaus gekommen. Ein Spe-
zialgebiet voll reicher Möglichkeiten
zur Betätigung persönlicher Eigenart
liegt sozusagen brach. Gewiß, die
Felsengartenanlage paßt nicht über-
all hin. Bekanntlich besitzt die Ge-
birgsgegend die besten Verbindun-
gen erleichternder Art. Sie liefert
als eine der Hauptsachen das Stein-
material in schlichter Echtheit. Ich
möchte aber von vornherein in Ge-
genwart und Zukunft aus jedem
Steingärtchen die Superlative „über-
wältigend, romantisch, bizarr und
grotesk“ verbannt wissen, denn sie
sind zu geeignet, eine an sich gute
Sache ins Lächerliche zu ziehen.
Die Aufgabe besteht hier nicht darin,
eine künstliche Gebirgslandschaft
aus Lava und Bimsstein herzustellen, sondern beschränkt
sich lediglich darauf, eine anmutige, natürlichen Reiz
in sich bergende Form zu finden, die es ermöglicht,
die wunderbare Schönheit der Gebirgsflora im kleinen
Raum des Gartens wirkungsvoll zur Geltung zu bringen.
Eine eigenartige Vegetation tritt uns entgegen, die in
ihrer Grazie und unendlichen Mannigfaltigkeit in Wuchs,
Blatt und Blüte das belebende Hauptelement bildet. Wer
in ihr nicht die Seele des Ganzen
erkennt, wird der Felsengartenan-
lage für immer mehr oder weniger
verständnislos gegenüber stehen und
sollte als Fachmann von ihren Auf-
gaben seine Hände lassen.

Es ist übrigens bezeichnend, wie
verworren die Begriffe bezüglich der
Stein- und Felsengärtchen im gro-
ßen Publikum heute noch sind.
Nach meinen Erfahrungen erfordert
es in einer von Natur aus selten
günstigen Gegend einer intelligen-
ten, bemittelten Kundschaft gegen-
über manchmal jahrelanger Über-
redungsversuche, ehe der erste Auf-
trag zustande kommt. Der kürzeste
Weg zum Ziele ist in diesem Falle
die Anlage eines Mustergärtchens
im Geschäft. Die Wirklichkeit
spricht überzeugender als Worte.
Sie schärft das Sehvermögen, reizt
zum Studium der naheliegenden Ge-
legenheiten und reift schneller zum
Entschluß und zur Tat. Die Insel

Felsformation in Seal Harbor, Maine, am Atlantischen Ozean.
 
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