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Die Gartenkunst — 15.1913

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Nr. 15
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Fuchs, Ludwig F.: "Und neues Leben blüht aus den Ruinen"
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222

DIE GARTENKUNST.

XV, 15

„Und neues Leben blüht aus den Ruinen“.

Von L. F. Fuchs, München.

Mit photographischen Aufnahmen des Verfassers.

Der Zauber einer von Efeu umsponnenen und
überwucherten,; im Laube der Bäume verborgenen Ruine
konnte den Gartenkünstlern des empfindsamen acht-
zehnten Säkulums nicht entgehen. Es war zuerst in
England, wo man unter dem Einfluß des chinesischen
Gartenstils, der damals durch die Werke Chambers in
Europa bekannt wurde und durch die Schriften Rous-
seaus sich dem sogenannten natürlichen Gartenstil zu-
wandte, der in
einer möglichst
getreuen Nachah-
mung der Land-
schaft das Ideal
einer Parkanlage
erblickte. Damit
kamen die Rui-
nen sozusagen
von selbst mit in
den Garten hin-
ein, insoferne als
zerfallene Abtei-
en, Burgen und
Kirchen in Eng-
land mehr als ir-
gendwo das Cha-
rakteristikum
des Landschafts-
typs bilden. Bei
der geradezu bil-
derstürmerischen
Umwandlung der
stilvollenBarock-
und Rokokogär-
ten und bei Neuanlagen war man von nun an immer
darauf bedacht, an einem besonders wirkungsvollen
Orte eine möglichst pittoreske Ruine anzubringen. Nur
selten fügte es freilich der Zufall, daß dort ein wirk-
liches altes Gemäuer stand; doch man wüßte sich zu
helfen : man errichtete künstliche Ruinen.

Entsprechend dem Zuge der Zeit waren es meist
zerfallene gothische Kirchen, Kapellen oder Burgen.
Aber auch die wuchtigen Formen altrömischer Tempel
und Triumphbögen mit mächtigen kapitälgeschmückten
Säulen, Rundbögen und massigem Mauerwerk und
Skulpturen wagte man zu kopieren. So z. B. im Garten
von Kew bei London.

Es ist bekannt, mit welcher Schnelligkeit sich
der englische Gartenstil und mit ihm auch die Ruinen
auf dem Kontinent ausbreiteten. Besonders : und zu-
erst in Frankreich, wo jene romantische Marotte meist
imposantere Formen annahm, als im Lande ihres.
Ursprungs. So z. B. in Betz, wo man eine gewaltige
Burgruine errichtete mit geborstenem Bergfried, aus
dessen Klüften Bäume sprießen, mit weitgespannter, ver-

witterter Holzbrücke nach der mächtigen Schildmauer
u. dergl. mehr.

Ein Rückfall in die alten Heckenkünsteleien des
Rokoko, aber gewiß etwas recht Reizvolles, war es,
wenn man die Ruinen aus lebenden Mauern, d. h. aus
Hecken errichtete. Die schönste und großartigste be-
fand sich wohl im Garten von Anguien. Es muß eine
unendliche Geduld dazu gehört haben, mit Hilfe der
Scheere diese Formen herzustellen und zu erhalten.
Die durch zwei Stockwerke gehenden „Mauern“ sind
bis auf Einzelheiten nachgebildet mit Türen, Fenstern,
Gesimsen und geborstenen Gewölben. Sogar Löwen

auf Postamenten
flankieren die
Eingänge. Die un-
beschnittenen
Wipfel der Hek-
kenpflanzen er-
weckten die deut-
liche Vorstellung
von einer Vege-
tation,. die in dem
Gemäuer Wurzel
gefaßt hat.

In Deutschland
hat dies für den
besonders belieb-
ten, „sanftmelan-
cholischen“ Gar-
ten so unentbehr-
liche Requisit
auch bald Ein-
gang gefunden.
Um hier ebenfalls
Beispiele zu er-
wähnen, nennen
wir die Madale-
nenkapelle im landschaftlichen Teile des Nymphenburger
Schloßgartens und die gothische Ruine im Prinz-Emils
Garten zu Darmstadt.

Es sind manche dieser kunstvollen Gemäuer auf
uns gekommen und wo sie sich erhalten haben, tragen
sie wohl jetzt meist das angestrebte romantische
Äußere: sie sind aus künstlichen Ruinen zu wirklichen
geworden. Trotzdem handelt es sich um eine Spie-
lerei, die des komischen Beigeschmacks nicht entbehrt,
wenn man sich vor Augen hält, wie die empfindsamen
Menschen jener Zeit sich davor in Stimmung versetzten
und Tränen der Rührung vergossen. Wenn das aus-
gleichende Walten der Natur diesen Werken eines ver-
irrten Geschmackes nicht eine innere Wahrscheinlich-
keitverliehen hätte, würden sie eigentlich nicht zu dem
Thema dieses Aufsatzes gehören.

In. weit eindringlicherer Sprache reden jene Garten-
ruinen zu uns, die der Vernachlässigung und mangelnden
Pflege ihre Entstehung verdanken, d. h. jene Gärten,
die ihrem Zerfall entgegengehen, deren Lauben der
Einsturz droht und deren Terrassen, Bassineinfassungen,

Kensington-Garden. Aufnahme von G. Ammann, Zürich.
 
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