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Die Gartenkunst — 15.1913

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Nr. 16
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Bitzenberger, A.: Rolle Rad!
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246

DIE GARTENKUNST.

XV, 16

nämlich die Kunst auf eine gesunde und dem Zeitgeist
entsprechenden Basis zu stellen.

Es war ein glücklicher Gedanke jener verdienst-
vollen Männer, daß sie den wirren, undefinierbaren
Kunstbegriffen, klare und in jeder Form definierbare
Prinzipien entgegenstellten, auf welchen die neue Kunst
basieren sollte.

Wenn auch anfänglich nach hartem Kampfe, fanden
diese in vereinzelnden Werken beherzter Künstler der
Öffentlichkeit vorgeführt, bald freudige Anerkennung.

Mit diesem Moment war der alte, ziellose Schlen-
drian unhaltbar geworden und ein neuer frischer Luft-
zug durchzog die Studiensäle der Kunstakademien, der
kunstgewerblichen Lehranstalten und nicht zuletzt die
Meisterateliers.

Eine neue, lebensfrohe Kunstepoche war nun an-
gebrochen und alle Vorbedingungen waren gegeben,
in den gewiesenen Bahnen, mit der unmeßbaren
Schöpferkraft der Künstlertalente, speziell in unserem
engeren deutschen Vaterlande und sittenverwandten
Nachbarländern, eine große, herrliche Kunst, die den
Zwecken und Bedürfnissen allerVolksklassen ohne Aus-
nahme gerecht werden sollte, in verhältnismäßig kurzer
Zeit dem Höhepunkte der Vollkommenheit entgegen
zu führen.

Die frohen Hoffnungen sollten aber gar bald ge-
trübt werden, denn die grundlegenden Prin-
zipien wurden der Gegenstand strenger, wissenschaft-
licher Untersuchung und dieselbe zeitigte nun wohl-
geformte Gesetzmäßigkeit.

Die Anwendung derselben in den einzelnen Kunst-
zweigen ist nun eine verschiedene und so ergaben sich
auch die verschiedenen Wissenschaften, für die
Malerei, Bildhauerei, Musik, Architektur (Außen- und
Innenarchitektur), Gartenarchitektur etc. (Für letztere
sind sogar neben den gesetzmäßigen Prinzipien der
Bauarchitektur noch besondere, wissenschaft-
liche Begründungen gefunden worden.)

Damit war die vielversprechende, junge
Kuns t en t wi c kl ung in eine Zwangsjacke ge-
steckt und diejenigen, welche sich dieser Fesseln ent-
ledigen wollten, standen unüberwindlichen Schwierig-
keiten gegenüber.

Ein wahres Syndikat war erstanden, das
streng darüber wachte, daß die neuen Gesetze ja nicht
übertreten wurden. Mit unerbittlicher Strenge ging
man gegen diejenigen Übeltäter vor, die es wagten,
auf Ausstellungen oder künstlerischen Wettbewerben
die Grenze des Erlaubten zu überschreiten.

Immer neue wissenschaftliche Entdeckungen wurden
gemacht, bis schließlich der Kunststudierende und
-ausübende vor lauter Denken überhaupt nicht mehr
denken konnte.

Die weniger Befähigten (von denen es übrigens
eine genügend große Anzahl gibt) beteten eben alles
gedankenlos nach und ein Teil von ihnen sind gerade
heute noch, wo man die Hemmschuhe ein er
gesunden Kunstentwicklung offen erkannt

hat, die eifrigsten Verfechter der oft unhaltbarsten
Behauptungen.

Wenn wir Ausblick halten auf den uns am nächsten
stehenden Kunstzweig, von dem wir die künstlerischen
Prinzipien und Richtlinien übernommen haben — die
Bauarchitektur — sowie auch auf das übrige Kunst-
gewerbe, so können wir die Tatsachen konstatieren,
daß man geraume Zeit hindurch glaubte, daß eine
baukünstlerische Schöpfung, sowohl in ihrer Ge-
samtkomposition, als auch inihrenEinzeln-
heiten — Formengebung und Linie — nur den Aus-
druck ihres praktischen Zweckes wiedergeben dürfe.
(Ästhetische Gesichtspunkte in diesen Sinne einbe-
griffen.) -—- Zweckmäßigkeit, Materialechtheit, Einfach-
heit, äußerste Ruhe in Linie und Fläche. —

Schnell einen Rückblick auf die schöne
Gartenkunst. — Zweckmäßigkeit, Materialechtheit,
äußerste Ruhe in Linie und Fläche.

In die Praxis umgesetzt: Gerader Weg, vier-
eckiges Rasenstück, auf jedem Eck eine Zuckerhut-
form, weiße Bank, viel Steine und Figuren, steife
Pappeln, möglichst viel weiße Pfähle und Latten und
fertig war die Laube, — pardon, der gemütliche, stim-
mungsvolle, deutsche Wohngarten.

So verfiel man von einem Extrem ins andere.

Verweilen wir im weiteren bei der Architektur
und dem Kunstgewerbe. — Echte deutsche Hei-
matkunst war das Losungswort — und in der
Tat, sehen wir uns um, so erblicken wir in zahlreichen
Landhäuschen, Schöpfungen künstlerisch befähigter
Architekten, die in ihrer schlichten Formenschönheit
sehr wohl den ideellen Forderungen der modernen
Kunstrichtung entsprechen. Aber — die Architektur,
als Ausläufer der bilden Künste, hatte doch noch
andere Forderungen zu erfüllen und Auf-
gaben zu lösen, die himmelhoch stehen über
denjenigen guter, praktischer Zweckerfül-
lung. Wollte nun der schaffende Künstler diesen For-
derungen gerecht werden, mit der ganzen Kraft seiner
Künstlerseele, so sah er seinePhantasie eingeklemmt
in die Gesetzgebung des Z weckmä ßigkeits-
prinzips.

In Architektur und Kunstgewerbe waren Erzeug-
nisse von wirklich gediegenem Geschmack und unbe-
strittener Zweckmäßigkeit entstanden, aber man fühlte
auch deutlich, daß man an der Grenze der Möglichkeit
angelangt war.

Das Kunstsyndikat halte die junge, werdende Kunst
in eine Sackgasse gedrängt, aus der herauszukommen es
nur zwei Möglichkeiten gab; erstens: Kraftloserklärung
der bestehenden Vorschriften durch unantastbares Be-
weismaterial, zweitens : die Flucht an die Öffentlichkeit.

Es ist mit Freuden zu begrüßen, daß dies der ge-
waltigen Stoßkraft der Künstlertalente in Architektur und
Kunstgewerbe bereits zu einem guten Teil gelungen ist.

Beredtes Zeugnis legen Kunstschöpfungen der
allerletzten Zeit ab; Schöpfungen, die Kunstwerke sind
im wahrsten Sinn des Wortes.
 
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