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Die Gartenkunst — 15.1913

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Nr. 18
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Siegert, Willi: Über die gärtnerische Ausgestaltung öffentlicher Schmuckplätze
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https://doi.org/10.11588/diglit.28103#0287

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XV, 18

DIE GARTENKUNST.

279

um den Platz verlaufenden Bürgersteige haben genau
die Breite wie die in ihrer Verlängerung liegenden
Bürgersteige vor den bebauten Blocks, sodaß also die
Baufluchtlinie sich in der „Rasenfluchtlinie“ fortsetzt.

Fassen wir einmal den praktischen Zweck eines
öffentlichen Platzes ins Auge, so kann man sagen,
Straße und Platz verhalten sich ähnlich zueinander
wie ein Fluß zum See oder wie die Leitungen einer
Luftheizung zur Staubkammer: dort Richtung, Strömung,
Bewegung, hier Stagnation, Ruhe. Auf dem Platze soll
der Verkehr ruhen; der Passant soll die Möglichkeit
haben, sich einmal aus dem Verkehr herauszuretten,
einmal unbehindert einhergehen zu können. Anderer-
seits aber darf der Platz kein Verkehrshindernis sein,
denn der Verkehr ist eine der Grundforderungen jedes
Städtebaues. Er muß also so angelegt sein, daß es dem Pas-
santen möglich ist, ihn ohne Umwege zu überschreiten.

Unsere öffentlichen Plätze erlauben weder das eine
noch das andere. Da sind zunächst die Plätze, die
vollkommen mit Rasen bedeckt sind. Sie finden sich
meist dort, wo ein Verkehr über den Platz hinweg
nicht stattfindet. Zum Ergehen bieten sie aber keine
Gelegenheit, es sei denn, daß man andauernd um den
Platz herumliefe, was wohl kaum als reizvoll angesehen
werden kann; und von den Sitzbänken, die sich hier
häufig in halbkreisförmigen Apsiden am Rande des Ra-
sens befinden, hat man nur eine Aussicht auf die Straße.

Schon erträglicher sind die Plätze, bei denen aus
der Rasenfläche Wege herausgeschnitten sind. Aber
auch sie sind in ihrem Zweck verfehlt. Was zunächst
die Form der Wege anbetrifft, so zeigt sich deutlich,
inwiefern man hier von einer Kunst des Reißbrettes
sprechen kann. Gewiß, auf dem Papier nehmen sich
die Figuren und Schlängelwege recht nett aus, aber
der Abstand, den das menschliche Auge von der Zeichnung
hat, also ungefähr 30 cm, würde bei einem Maßstabe
von 1:1000 einer Vogelperspektive aus 300 m Höhe
entsprechen. Wir sehen aber mit unserer Augenhöhe
von durchschnittlich 1,60 m die geometrischen Muster
vielmehr aus einer Art .Froschperspektive, die ein Er-
kennen der Muster als solche vollkommen ausschließt.
Und wenn der Entwerfende umgekehrt sich einmal
vorstellen wollte, daß er sich mit seinem Auge bei
einem Maßstab von 1:1000 nur 1,6 mm über dem
Papier befinden dürfte, um unter den gleichen Verhält-
nissen wie in der Wirklichkeit zu arbeiten, so würde
sich ihm die Zwecklosigkeit seines Vorhabens wohl
unabweisbar aufdrängen.

Muß eshiernach unsinnig erscheinen, mit denWegen
eines Platzes (dasselbe gilt natürlich auch mehr oder we-
niger von den Blumenbeeten) geometrische Spielereien
zu treiben, so ergibt sich geradezu eine Zweckwidrigkeit,
sobald es sich um ein Überschreiten des Platzes handelt.

Es ist nämlich für den Menschen eine angeborene,
aus der physischen Beschaffenheit seiner Beine ent-
springenden Tatsache, möglichst gradlinig auf sein Ziel
losgehen zu wollen. Das läßt sich sehr schön im
Winter bei frisch gefallenem Schnee beobachten. Be-

reits der erste, der sich einen Weg suchen muß, sagen
wir mal schräg über die Straße von einer Ecke zur
anderen, zeichnet ihn so geradlinig mit seinen Füßen
vor, daß ihn alle, die ihn später gehen müssen, genau
benutzen können, und in stilleren Gegenden bleibt er
gewöhnlich so schmal wie ein Wildwechsel, eben weil
er als gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwei
Punkten ist. Wenn der Berliner Polizeipräsident vor
einiger Zeit dem Publikum den Rat gegeben hat, die
Fahrdämme rechtwinkelig zur .Gehrichtung zu über-
schreiten, so hat er ganz richtig angenommen, daß es
gewöhnlich in sehr spitzem Winkel geschieht, eben aus
den erwähnten Gründen. Es fällt keinem Menschen
ein, beim Gehen eine scharfe Wendung zu machen.

Nun gibt es allerdings eine ganze Reihe von
Plätzen, die geradlinige Diagonalwege aufweisen, so daß
man also dort nicht mehr von einer Behinderung des
Verkehrs sprechen kann. Und man könnte nun weiter
annehmen, daß eben grade da, wo der Verkehr es
unbedingt erfordert, die Wege dem Verkehr ent-
sprechend, also gewöhnlich diagonal aus dem Rasen
herausgeschnitten sind, während bei den übrigen Plätzen
der Verkehr, der dann allerdings nicht zu stark sein
dürfte, gerade durch das Fehlen von Diagonalwegen
um den Platz herumgeleitet werden soll, um diesen aus
dem Verkehr herauszuheben. Und es gibt tatsächlich,
speziell in Berlin (aber auch anderswo), Plätze, deren Wege
so knifflich angelegt sind, daß man es vorzieht, ganz um
sie herumzugehen, als sich an den vielen Ecken und
Bögen zwischen den eisernen Gittern vorbeizuwinden.

Aber auch diese Auffassung hat ihre Bedenken.
Mögen die Wege eines Platzes nun verlaufen wie sie
wollen, es sind und bleiben immer Wege, die, und
das ist das Wichtige, stets eine Richtungstendenz
haben; ein Weg ist, wie der Name ja schon sagt, die
verkörperte ,,Bewegung“, und der Mensch, der sich
auf ihm befindet, will und muß sich gemäß dieser
Richtungstendenz betätigen, er wird gewissermaßen
physisch und psychisch in diese Richtung hineinge-
zogen, und von einem Ruhen, einem Lustwandeln nach
eigenem Belieben kann keine Rede mehr sein. Das
ist ja aber das Bezeichnende an unseren Plätzen, daß
man sie erst mit Rasen vollkommen bedeckt und dann
ein paar kümmerliche Wege herausschneidet, auf denen
dem Bürger gerade noch gestattet ist zu gehen, daß
man sich auch hier in eine krampfhafte Sucht, überall
Fluchtlinien und Grenzen festzulegen, erschöpft, wo
vielmehr Freiheit und Ungebundenheit angebracht wäre.

Dabei bietet es nicht die geringsten Schwierig-
keiten, alle diese Übelstände mit einem Schlage zu
beseitigen. Man braucht nur das vorhandene Schema
aufzugeben und nach einem solchen zu verfahren, das
diesem gerade diametral entgegengesetzt ist: Indem
man beim Entwerfen den Platz nicht als mit Rasen
bedeckt annimmt und aus ihm Wege herausschneidet,
sondern indem man ihm zunächst einmal das beläßt,
was unabweisbar zu seinem Wesen gehört, nämlich den
„Platz“; indem man ihn also frei läßt und eine Bepflanzung
 
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