Donnerstag, 20. April 1905.
Erktes Vlatt.
47. Jahrgang. — Nr. 94.
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Des Charfreitags wegcn erscheint die nächste Nummer
»rn Samstag.
Die marokkanische Angelegenheit in dev
französischen Deputiertenkaminer.
Die französische Deputiertenkammer
hat sich gestern mit der m, arokkanis chen Ange -
segenheit Leschäftigt. Man ist in Frankreich und
speziell in der Deputiertenkammer nicht entzückt von der
rnavokkanischen Politik Dslcasss's; man will keinen Kon-
slikt nnt Deutschland, man wirst Delcassck vor, er habe
Deutschkamd leichtsiuuiger Weise iibergangen und maic rät
shm, das Versäumte noch rechtzeitig und möglichst schnell
NachKuholen.
So erinnerte der Abg. Archdeaco n den Mnister
daran, daß er im April gesagt hütte, die Stunde sei ge°
lommen, unsere Vorherrschast in Marokko geltend
öu macheu, aber dieses Ergsbnis könne erreicht wekden,
ohne irgend welchen Jnievessen zu naihe zu treten. Unter-
hessen sei ein Mißersolg eingetreten und Deutschland habe
sein schwerstes Geschütz aufgefahren. Der Minister spreche
ietzt wohl noch von der osfen-en Tür, aver nicht von der
Dorherrschiaft in MaroKo-. Der Deputierte Boni de
Castellane hielt dem Mnister besonders vor, daß
Marokko mit Aegypten verglich-eu und nicht den gÄval-
tigeu Unterschiöd Z.wischen einem eroverten und einem
selbständigen Land-e ges-chen have. A-m schärfsten aver
lling- dec Deputierte Iaures dem Mnister zu Leive.
Unter welchen Bedingun-gen, so führte er aus, konnte
die friedliche Politik des Mnisters Erfolg haven? Unter
Avei Bedingungen: Zuerst war es nöt'ig, der Aufgave alle
Zeit und alle G-eduld, die sie ers-o-rderte, zu widmen, und
-serner war es unerläßlich, daß- d-azu die einmütige Z u -
stimmung aller Mächte vorlag, was seinerzeit vom
-Ahg. Huvert betont wurde. Der. deutsche Kaiser
hat durchl seine Reise na-ch Tang-er zu ert'ennen gegeben,-
'daß er die Ansprüche der französischen Politik in Marokko
-Nicht anerkennt, und d-ah er, was Deutschland betrifft,
-E>ie Schlußso-lgerung nicht zuläßt, die man aus deni sran°
Söstsch-englischen Abkommen Ziehen wollte. Jn aller Au-f-
richtig-keit, ich glaube nicht, daß d-em ein Akt systematischer
Feinldseligkeit oder ein kriegertfcher Hintergedanke zu-
Ärunde liegt! Beide Völker, Frankreich und
-Deutschland, wünschen ausrichtig den
-Frieden! Am Ta-ge nach! der Ratifikation des fran-
^ösisch-englischen Vertrags- hat d-er Reichskanzler Graf
^ülow darüber unter dem Beifall des Reichstags gespro-
chen. Es ist befrem!dsn!d, da-ß die franzö'sisch>e Regierung
öie iGelegenhert nicht benutzt hat, um Unterhandlungen
drit Deutschland ern'zuleiten! Warum hat man es nicht
8etan? Zur Zeit des Mschlusses d-es Abko-mmens hatte
sch vom Minister des Auswärtigen gefordert, dah es
Fegen keine anidere Macht g-erichtet sein dürfe. Der Mi-
»ister hat d-arauf ni-chts geantwortet. Aber so ern-ste
8ra>gen löst man nicht durch Stillschweigen! Warum
Eer, tvotz aller schmsrzensrerchen Erinnerungen, weigert
8ran stch, in Verhandlun-gen mit Deutschland einzutreten?
^8ie schmerzlich auch> der 'Gedanke an die Vergangenh-eit
lein möge, Frankreich hat nichts v-on sein-er Würde und
seinem Stolz verloreu. Aü! dem Minister wäre es
lkewesen, seinerserts die ersten Schritte zu trm, o'hne die
^inladung dazu ab-zuwarten. (B-eifall.) Der Minister
^ill ni-cht begreifen, dah er sür die Verwirklichung seiner
^olitik in Marolkko- die Zustimmung aller Mächte nötig.
Wt! Wir haben in diesem Augenlllick eine -Mission in
^larokko, welche wartet; was wird man mit ihr tun cm-ge-
^chts des Wr-derstandes des Sultans und des Fanatis-
8ms der Muselmanen? Die R e -gie r u n g m u ß mit
Deutschland unterhandeln, wie sie mit Eng--
wnd unterhandelt hat! Das wird mehr wert sein, als die
Mnkeln Winkelzüge unserer Diplomatie, die so wie so
^icht von langer Dauer sein können.
Mmster Delcass 6 erkläri: „Der Sultan von Mm
^kko hat am 6. April die Grundzügs dss französischen
^ro-gramms gntgöheißen, woraus die BesprechUng der
^vzelnen Punkte begonnen hat und ohne Zwischsnfall
^rtgesetzt wird. Was die neuerding-A hervorgetretenen
^esürchtungen betrifft, als ob die französische Politik in
b^orakko auf die fremden Interessen zurückwir-
könnte, so h-abs ich dem deuts-chen Botschafter erklärt
i'Nd duxch den französtschen Wotschaster in Berlin erklären
msen, daß ich-, falls irgend e i n M i tzv e r st ä n- d-
^.i s bestehe, bereit b i n, es zu 'zerstreue n .
^ie Anwendung des G-rundsoitzes der Handelsfrei-
^ ^ i t ist a I len N a t i o n e n z u g es i che r t." (Aus
deutscher Seite ist schon ost iviederholt worden, dah die
Handelssreiheit allein nicht genlügt; es handelt sich um die
wirtschaftliche Erschliehung Marokk-os, um
Bahn- und Straßenbauten, Bergwerksünternehmungen
usw, Wenn die von Frankrei-ch zu vergbben 'sind, dann
dürfen deutsche Unternchmer ntcht auf Berücksichügung
rechnen.)
Delcasss sügt dieser kurzen Erklärung eins Ver-
wahrung gegen einzelne Dorwürfe von Jaurbs hinzu.
Die Kamnier war aber augenscheinlich von seinen Aus-
lassungen nicht sshr befrisdigt, dsnn der Premierminister
Rouvier h-ielt es sür geboten, dem Mnister des Aus-
wärtigen zu Hilse zu kommen nnd ihn- mit dem Schild
des Gesamtministeriums zu decken.
Rouvier trat, wie aus einem Telsgramm der
„'Frankf. Ztg." hervorgeht, energisch sür DelcaM ein,
dessen Politik stets von d-em Parlament gsbillig-t wordeii
sei. Man werse der Regierung vor, dah sis das eng -
l i s ch - s r a n z ö s i s ch e Abkommen bei seinem Ab-
schluh nicht Deuts-chland mitgeteilt habe. „Es sind seitdem
milit-ärischs Ereig-nisse eing'streten, w-elche -das mit uns
verbündete Rußland geschwä-cht haben und
nnsere Nachbarn, mit densn wir im guten Einvernehmen
löb-en wollen, häben vielleicht in der l-etzten Zeit gedacht,
daß sie einigs H a n d e I s v o r t e i l e erlangen könnten.
Die G l e i ch b e r e ch t i g u n g der Nationen wird
von niemandem ang-etastet. Frankreich verschließt sich
keinem Vorschlag. Die Regierung ist solidarisch uud ver-
nachlässigt keine der großen Jnteressen d-es Landes, mit
denen 'sie betraut ist. Jm Na-men der Regierung hat der
Minister des Aeuheren die Jnitiatibe zu der Aus'sprache
ergrifsen, die man von uns verlangt. Die Regierung er-
wart-st nunmehr die Antw-ort. Sie wird immsr besorgt
sein, den Frieden der Welt zu a-chten."
Die interessante Sitzung wurde daraus abgebro-
ch e n und auf na-chmtttags vertagt.
Derrtsches Keich.
— Der „Nor'dd. Allg. Ztg." M-solge entsandte der
Kultusminister einen patholo-gischen Anatomen nach Ober-
schlesien, um in enger Fühlung mit dem Leiter des bak-
teriologis-chen Jnstituts in Beuchen uud deu Kraukenhuus-
ärzten zu einer wissenschaftlichen Erfor-
schung deb ü b e r t r a g b a r en Genickstarre
durch eine patho-logischi-anatomische Untersuchung mvglichst
beizntragen.
Baden.
Karlsruhe, 19. April. Der Vo- rstand ' des
n a t i o n a l l ib er a I en Verein s hat sich gestern
konsütuiert. Es wurden einstimmig gewählt: Rechisan-
walt Dr. Binz zum Vo-rsitzeNden, Stadirat 'GIafer zum
stellvertretendeu Vorsitzeuden, Stadtrat Ostertag zum
ersten und Landgerichtsrat Freiherr v. Röder zum zweiten
Schristsührer un'd Stadtrat Häudel zum Kassier. Der
seitherige stellvertretende Schristführer, Hauptlöhrer Heck-
mann, hatte mit Rückstcht auf vielfache dienstliche Abhal-
tuug gebeten, von s-einer Wiederwahl abzuschen.
Arss der Karlsruher ZeiLuug.
Rechtspraktlkanten. Auf Grund der rm Frühjahr -d. I. ab-
gehaltenen ersten juristischen Staatsprüfung
siü-d solgende Rechtskanldidaten zu Rechtsprakttkanten
ernannt worden: Fritz Ammann aus Bruchsal, Heinrich
Bauer aus Mannheim, Hermann Beuttenmüllcr aus
Baden, Hans Brand-l aus Sinsheim, Wilhelin Sngler
aus Karlsruhe, Gustad E r n st aus Radolfzell, Karl Fath aus
Lörrach, Otto Frank aus Nürnberg, Rudolf Frey aus Ueber-
lingen, Karl Häussner aus Bruchfal, -Hermann Harrer
aus Pforzhcim, Robert Hausamann aus Konstanz, Karl
Hitzler aus Baden, Kurt Hofmann aus Karlsrühe, Rich.
de Jong aus Mannheim, Paul Jor'dan aus Mannheim,
Kurt Josef aus Nastenburg, Fritz Kaufmann aus Lon-
don, Karl Kees aus Dubuqu-> (Nordamerika), Emil Kem-
mer aus Karlsruhe, Hans Kienitz aus Karlsruhe, K-arl
Kirchberger aus Karlsruhe, Karl KIumpp aus Kar.e-
ruhe, Bruno Leonhard aus Osfenburg, Hubert Luschka
aus Wcingarten (Württemberg), Fritz Freiherr Marschall
von 'Bieberstein aus Karlsru'he, Artur Mez aus Frei-
burg, Karl Mohr aus Mannheim, Albrecht Müller aus
Frei-burg, tzans Münch aus Baüen, Wilhelm Rön. nberg
aus Rostock, 'August Roth aus Karlsruhe, Karl Roth aus
Karlsruhe, Hermaun Schaefer aus Frankfurt a. M., Hans
Schleyer aus Meersburg, Johann Baptist SchmiLt aus
Burg, Otto Schmitt aus Rastatt, Walter Schönborn
aus Bad Nerchäuser 'bei Königsberg, Alois Seifried aus
Kappelwindeck, Otto Sievert aus Kehl, Friedr. Sitzl.cr
aus Tauberbischofsheim, Hans Spi « s aus Mannheim, Wilh.
Spies aus Michelfeld, Frang Ullrich aus Heidelberg, Gg.
Vogel aus Eppingen, Friedrich Wan-gner aus Karlspuhe,
Eugen Weiß aus Karlsruhe, Oito Werle aus Freiburg,
Rudolf Zipf aus Jttersbach. — Auherdcm sind für bestan-
den erklärt worden die beiden Rechtskandidaten Joharmes
Meher und Ernst Rümcker aus Hamburg, die sich auf
Grund der mit den -Senaten der drei Hansestädte abgeschlosse-
nen Vereinibarung übcr die Ablegung der ersten juristischen
Staatsprüfung durch hansestädtische Rechtskandidaten im Grotz-
herzogtum Baden ber 'Prüfung unterzo-gen hüben.
Karlsruhe, 19. April. Der Großherzog- empfing
heute Vormittag 10 Uhr deu Gsnevaladjutanten, Gene-
ral der Artillerie von Müller, um 11 Uhr dsn Mnister
Dr. Schenkel nnd mni 12 Uhr den Präsidenten des Mi-
nisteriums des Gr-ohherzogli-chen Hauses und der aus-
wärtigen Angelsgenheiten, Geheimerat Freiherrn von
Marschall zur V'0rtra-gserstattun-g. Nachnntta-gs gsgen
3 Uhr erhielten die Großh>erzogli-chen Herrschaften den
Besuch des EbbgroMerzogs und der Erbgrohherzo-gin.
Darnach unternahmen der Großherzog und die Grohher-
zogin eine Au-ssahrt nnd wohnten nm 6 Uhr dem Abend-
gottes'dienst in der Schlohkirche an. Ubend-s 7 Uhr hörte
der Großherzog den Vortrag 'des Leg'ationsrats Dr. Seytn
Um 8 Uhr besucht die Grohh'srzo-gin den fünsten Vortrag:
des Dr. Johannes Müller Der „Neue Mens-chen" im
Eintrachtssaal.
Aus SLadt rmd Land.
Heidelberq, 20. April.
(") Städtische Orgclkonzerte. Das erste Liesjährige Orgel-
kongert findet am Dicnstag, den 2. Mai statt nn-d wird
Aügeben von Herrn Fritz Stein unter freundlicher Mit-
wirkung von Frl. Elsa v. Dusch aus Karlsruhe (Sopvan).
f Todesfall. Jm Alter von 77 Jahren ist heute Nacht Herr
Alt-Stadtrat Keller gestorben. Der Verstorbene war 16
Jahre hindurch, von 1881—1897, Mit-glied des Staütrats. Er
gehörte verschiedenen Kommissionen, so der Gas- und Wasser-
werkskommission, an nnd war Vorsitzender -des Verwaltungsrats
der städtischen Sparkasse. Von 1877 bis 1882 war Herr Kcller
2. Vorsteher der Harmonie-Gesellschaft, als deren trenes Mit-
glied er sich bis zu seinem Hinscheiden bewährte. Vis 1904
gehörte er dem altkathol. Kirchenge-meinderat an. Bis vor
kurzem sah Herr Keller troh seiner hohen Jahre noch sehr rüstig
aus, so'datz sein Hinscheiden seinem weiten Wekanntenkreis über-
raschend kommt.
! I Unfall. Auf dem Hauptbahnhos wurde gestern ein Ran-
-gierer von einer Lokomotive erfatzt und zu Wodcn geschleudert.
Er zog sich Verletzungen am Hinterkops zu, welche seine Ueber-
führung ins akadem. Krankeühaus bedingten.
X Meckesheim, 19. April. (Todesfall.) Jm Altcr bon
75 Jaihren ist heute hier Altbürgermeister Stoll gestorben,
Ler von 1889 bis 1892 Mitglied des Bezirksrats war und von
1892—1895 auch der Kreisversammlung angehörte.
Basel, 19. April. (Schiffahrt auf dem Ober-
rhein.) Der Dampfer „Johann Knipscheer 9" ist heute am
Sankt Fohannquai eingetroffen. Die Fahrt ist gelungen. Der
Wasserstand ist aus-gezeichnet. Morgen erfolgt die Talfahrt.
Aus Baden. Jn Karlsruhe sand am 18. ds. im Kre-
matorium! die Feuerbestattung des Astronomen, kaise-rlich rns-
sischen Wirkl. Geh. Rats Wilhelm v. Struve statt.
Kleiue Zeiümg..
— Fulda, 19. April. Jn der Rhön ist heuke Nacht
neuerdings reichlich Schnee gefallen und das Schneien
h-ält an.
— Bayreuth, 18. April. Heute Mittagi schneite
es hier wiod'er.
Hannover, 19. April. Nach einer Meldung des „Hann.
Kuriers" aus Braimschweig schneit es im- oberen
Harz seit Montag srüh unnnterbrochen: bei empsin'd-
lichem Nobdost beträgt die Temperatur 2 bis 4 .Grad
unter Null. Die Post muh Schlitten benutzen. Touristen,
die am Freitag vom Torfh-aus nach dem Brocken wollten,.
verliefen stch und kamen erst nach 9 Stunden an.
— Berlin, 19. April. Die Hebamme Elise Schulz
in Rixdorf erkrankte plotzlich; die Krankheits-
erscheinungen ncchmen so- P-Iötzlich und hestig M, daß man
die Fran in- sin Kran-keichaus bringen- wo-llte, sie starb
aber auf dem Transp-ort. Ms To-desursachs wurde G e-
nickstarre sesigestellt. Die Medizinakbchörden trasen
alle Vorbsreitungen, um ein Umsichgrerfen der Kbankheit
zu verhindern.
Berlin, 19. April. Heute Morgen gegen Osä U'hr
wurden der 78jä'hrigen Pfandlecherin und Alttrödlerin
Else Krause in ihrsm Laden von- einein jungen Mens-chen
in r a u b m ö r d e r i s ch e r Abficht schwere Ver-
letzungen beigchracht. Ein herb-eigcholter Arzt stellte
sest, dah die alte Fran mit einem stumpfen Eisen
mchrere Schläge über die Stirn erha-lten hatte, wbdurch
die Sckiädeldecke zertrümmert worden ivar. Die von der
Polizei sofort angsstellten Ermittelun-gen nach dem Täter
waren bish-er ersolglos.
Petcrsburg, 19. April. Die in auswürtigen Blättern
verbreitete Nachricht, daß der Po-Iizeimeister von Gensto-
chau vergiftet worden sei, i st u n w a h r.