. Mitlwoch, 10. Mai 1005
ErfteS Vlatl
47. Zahraang. — Nr. 109
Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. in'S Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigftationen abgeholt 40 Pfg.
Durch die Post bezogen vierteljährlich 1,35 Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.
Anzei^enpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiestge Geschäfts. u. Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heiüelberger Zeitung u. den städt. Anschlagstellen. Fernspr. 82.
— Der Reichstag und das preußische Ab-
3 e o r d u e t e n h a u s uehmen inorgeu ihre Tätigkeit
wieder auf. Ju der Presse uud in parlaimentarischen
^eisen beschäftigt man sich mit der Frage, ob sie die noch
^usstehenden Aufgaben bis Pfingste n werden bewÄ-
Agen können. Jm! Abgeord'neten-Haus' handelt es stch
bauptsächlich um die br ei Ber g g e s e tz e, betr. den
Arbeiterschutz, die Stillegung der Zechen und die Beschrän-
tung Mutungen. Es ist, da für alle diese Gesetze ja
"uch noch das Herrenhaus in Betracht kommt, wie die
"Ärankfurter Zeitung" hervorhebt, znm mindesten frag-
^sch, ob die Session vor Pfingsten wird geschlossen werden
tonnen. 'Un unterrichteten Stellen nimmt man übrigens
Uch' daß die Kouservativen des Wgeord-N'et'enhauses ohne
oesonüere Schwierigkeit das Bergarbeiterschutzgesetz schlietz-
"ch in einer der Rsgierung annehmbaren Form werden
^stande bringen helfent Der Gesichtspunkt, daß. die
Kons.ervativen keinen Anlaß haben, sich gegen
^urtig mit dem Grafen Bülow zu entzweisn, dürfte dabei
Ausschlag geben. Jm Reichstag-e ist demfelben Blatt
^ufolge die Beendignng der Arbeiten, — sei es durch Ses-
iwnsschs^^ d'urch Nertagung — vor Pfingsten sehr
^hrscheinlich. Tabei wird vorausgesetzt, daß das Mili-
orpensionsgesetz unerledigt bleibt, weil das Zentrum da-
sauf besteht, daß di-eses Gesetz nicht ohne vorherige Lö-
der Deckungsfrage beschlossen werden dürfe. Die
^form der Börsengsfetzgebun'g wird, dank der Zeitvergeu-
die der Reichstag in den ersten Monaten betrieben
^ot, durch Obstruktion vereit-elt werben. Sonst hat der
/sErchstag nur noch kleinere Aufg'aben vor sich, die leicht
Pfingsten werden erledigt wevdsn können: Dis Ent-
^uung des Reichsgerichts, das Totalisatorgesetz, die Meß-
ud Gemichtsordnung, ein Nachtragsetat für Südwest-
Der agrarischen Bkehrheit sind nur noch zwei
-.^igaben. besonders wichtig: der Untrag' Kanitz, der die
^ollkredite Mr die Getreideeiufuhr schon vom 1. Juli an
Aoitigen will, und die Abänderungen der Besiimmnngen.
! W Bürgerlichen Gesetzbuchs ,über die Haftung des Tier-
^lters, Dafür soll der Reichstag, wie .das Organ des
.-^^des der Lan-dwirte wieder einmal mahnend und be-
/hlvörend auseinandersetzt, nochmals beschlußfähig ge-
uacht werden, und der Regiernng, die gsgen die vor-
M"ge Aufhebung der Zollkredite Bedenken geäußert hat,
von rreuem vorgchalten, daß, wenn sie nicht alles tut,
M. diese Forderungen der Agrarier zn erfüllen, dann das
^^Ende Vertrauen der Landwirtschaft sich wieder in
"ktrauen wandeln werde.
Heute, Mittwoch, vollendet ein auch als Schrist-
, or bestens bekannter alter Marineoffizier, der Mze-
- bnral m D. Reinhold von Werner, sein 80. L e -
I a h r.
Baden.
-der ^ lsru h e, 9. Mai. Me Lan'desversammlung
H l i r ch l t ch -1 i b e r a le n Vereinigung in
Dies ^ am 24. Mai in Offenburg stattfinden.
>ar VerscUnmIuna kommt eine ganz besondere Bedeu-
tung zu, nicht nur, weil sie sich einen neuen Borsitzenden
geben wird, sondern weil sie die Ziele, die in den nächsten
Jahren zu erstreben sinü' und die Wege, auf denen diese
Ziele erreicht werden sollen, sestzustellen h-at. Der bishe-
rige v-erd'iente Vorsitzen.de, Staütpfarrer D. Hönig in
Heidelberg, hat dieses Amt nied-ergelegt, die Landesver-
sammlung wird diesmal daher von dem SteMertreter,
Stadtpfarrer Rapp - Karlsruhe geleitet werden. Stadt--
vikar llie. Wielandt - Heidelberg wird einen Vortrag
Wsr „Neue nötige Wege" h-alten. Neben den pro-
grammatischen Festlsgungen soll auch die Organisation
der kirchlich-Iiberalen Vereinigung gefestigt und erweitert
werden, und- man- ist auch- bestrebt, das L-aienelenient miehr,
als bisher geschehen, beizuziehen.
T a u b e r b is ch o f s h e i m, 8. Mai. Benefiziat
Dr. Schofer hat bereits mit seinen WahIreifen
im Bezirk Tauberbischofsheim begonnen und der ultra-
montane „Tauber- und Frainkenbote" ist eifrig bemüht,
seine Kandidatur „populär" zu machen. So heißt es in
einem Bericht aus Uissigheim: „Sch.ofers' Worte wnrden
mit großem Beifall.aufgenomnüen, ein „Beweis" (!), daß
auch- (!) die anwesenden Wähler ihn für den g-eeignetsten
Mann halten. Anßerball' bieser Verfammlungi ist von
dieser angeblichen „BegöisteMng" für die Kändidatur
Schofer nichts zu bemerken. Wenn die Landwirte unter
sich sind, lautet die Mslodie ganz anders als in Gegen-
wart der Herren Geistlichen, aus denen sich- in der Haupt-
fache der Agitationsstab' des Zentrumskandidaten rekru-
tiert. Jn Uissigheim sprcichen beispielsweise außer dem
Kandidaten und deni Redakteur des- „Tauberbotsn" drei
'Geistliche, darnnter der Ortspfarrer. Unter solchen Um°
ständen ist natürlich d'er „Beifall" unausbleiblich; ob es
aber anch- von Herzen kommt und die wirkliche Stimmung
der Landwirte zum Ausdrnck bringt, möchten wir sehr be-
zweifeln.
Aus Äer KarLsrNtzer ZeiLuKg.
— 'Seine Könlgliche Hoheit der Grotzherzog haüen
dem Königlich Grotzbritannischen Konsut Kavl Anton N.ietzen
i.n Köln das Ritterkrcuz 1. Klasse des Ordens vom ZSHringer
Löwcn, dem Altbürgermeister Andreas Hettichin Erdmanns--
weilcr die tleine gotdene Verdienstmcdaille, dem Kaminfeger-
uiehter Karl Sulzer in Kenzingen, dem Faschinenlcger
Friedrich Knobloch in Eggenstein, dem Salzstcuererhelber
David Kopf in Whhlen und dem Requisttengehilfen Karl
Schaller bcim Hoftheater in Karlsruhe die silberne Ver-
dienstmedaille berliehen.
— Betriebsasststent Johann Pschiebel in Gengenbach
wurde nach Appenweier versetzt.
Karlsruhe, 9. Mai. Gsftern Abend besuchten
der Großherzog, der Erbgroßherzog und die Erbgroßher-
zogin die städtische Schillerfeier in der Festhalle und ver-
weilten daselbst don Anfang bis zum S-chluß. Die
Großherzogin kam wegen der um 8 Uhr 32 Minuten er-
folgten Abreife des Prinzen Adalbsrt von Preußen erst
später in die Festhalle. Heute Dormittag halb 10 Ulir
empfing der Grobherzog den Präsidenten Dr. Nieolai zur
Vortragserstattung. Die Großherzogin wohnte nm 10
Uhr der Schillerseisr in der Höh-eren Mädch^enschule an.
Um 11 Uhr begaben sich die Grohherzoglichen und Erb-
großherzoglichen Herrfchaften in die Aula der Technischen
Hochschule, um an der dort ftattfindenden Schillerfeier
teilzunehmM. Jm Laufs des Nachmittags hörte der Groß-
herzog die Vorträge des Präsidenten Dr. Nicolai und des
Geheiinerats Dr. Freiherrn von Babo. Abends werden
der Großherzog, die Großherzogin, der Erbgroßherzog und
die ErbgroMerzogin der Schiller-Gedenkfeier im Groß-
herzoglichen Hofthsater beiwohnen.
AüSlarrd.
Aincrika.
W ashington, 9. Mäi. Der amerikanifche Ge-
neralkonful Madon befürwortet in feinem Bericht an
das Staatsdepartement den Wfchluß eines Handels -
vertrags zwischen Deutschland und- Amerika,
der größere Gegenfeitigkeit vorjieht nnd die währeii Jn-
teressen der beiden Nationen schütze.
— Chicago ist in den Händen eines nach Tausen--
den zählenden' Mobs und während der letzten Tage kam
es unausgesetzt zu e r bi t t e r t e n S t r aße n -
kämpfen. Seit der berüchtigten Haymarket Tragödie,
die sich vor 19 Jahren abspielte, und bei der 8 Polizisten
durch Dynamitbomiben getötet und- 66 Perfonen verwundet
wurden, hat die Stadt keins ähnliche Heimsuchung erfah-
ren. Jn dein Geschäftsviertel Chicagos herrscht die voll--
ständige Anarchie und gleich schlimm steht es in den-
Außenbezirken aus, wo sich die Stallungen und Schuppen
der großen G,eschäfts'h-äufer' besindsn. Jn den Kämpfen
zwischen den ansständigen Fuhrleuten und den Negern„
die an ihrer Stelle in Dienft gonommen wurden, ftnd be-
reits drei Personen getötet und in einer Nacht über 100
fchwer verwundet ivorden und- alle Krankenhäufer sind
mit Verwundeten, namentlich Arbeitern, überfüllt, die
Schnßwunden oder Knochenbrüche davongetragen haben.
Der Aufruhr hat einen- derartigen Umifang erreicht, daß
die Polizei ganz inachtlos' ift. Der Bürgeransschuß hat
den Gouverneur Duneen verftändigt, daß ein Zustand
offenen Au'stuhrs herrscht und werden nun die in der
Nahe von Chicago in einem großen Feldlager befindlichen
Trnppen bereit gchalten, um erforderlichen Falles einzu-
schreiten. Die Arbeitgeber haben beschlossen, keine Neger
mehr in Dienst zu neh'Men, da dies eine große Erbitternng
'hsrvorgerufen hat und Zum großen Teile für die einge-
rissenen Zustände verantwortlich ist.
Ans Stadt uud Lanö.
Heidelbcrg, 10. Mai.
—— Schiller in Heidelberg. Der Festredner vom vorigen
Sonntag, Herr Prof. Rösiger, schreiüt uns: Gestatten Sie
m:r ten Jrrtum des Herrn H. H. zu berichtigen, der einfach
behauptet, die Festredner hätten die Tatsache übersehen, datz
Schiller selbft einmal in Heidelberg war. Jch persönlich hakbe
es crwähnt und daran die Betrachtung geknüpft, daß auf Schil-
ler die Natur Heidel'bergs nicht so wirkte wie auf Goethe. Die
bekannte Stelle aus dem schönen Buche Ulrichs über Charlotte
und ihre 'Freunöe, von der H. H. spricht, wird crgänzt durch
Charlottens Briefe aus Heidelberg vom 6. Aug., 20. Aug., 11.
Septbr. 1810 und auch durch die schöne Festrede, die am 10. No-
vember 1850 der bekannte Archäolog Bernhard Stark in Hei-
Schillerfeier dev Universität.
^ Heidelberg, 10. Mai.
ten Sl^cnMuseumsfaale hatten sich am Schillertage Dozen
wn g v,tf^nten und Tcilneh
Die LüA: «bends vercinigt
6 und Tcilnehm. r aus allcn Kreisen unserer Stadt
-vie abends vereinigt zum Gedächtnis Fricdrich Schillers.
Pofition - ivurde eingeleitet durch den Vortrag der Kom-
^fchioss-^^' 'ärydns zum Gedichte „Die Teilung der Erde ,
Cin "Urch den Carl Loewcschen „Grafen von Habsburg".
dem Aufang: „Nehmt hin die Weltl" Nach-
stat Geb der mit schöner Kraft vorgetragen, geendet,
daz PalnxÄ^ Prof. Dr. Windelband auf das Kathcder,
^eraekröni? Blattpflanzen schmückten, vor dem eine lor-
Willft Schillers stand.
fn meinem- Himmel m:t mir leben, so oft Du
Unserem °fstn stin", diese Zusage haben die Götter
?u«en A^hulten. Sie führten ihn hinauf aus eincm
lchaue'n ^ "Ä^u zur Fülle der Gestalten: sie ließen ihn
Sätzen Wclt, -voll Far'be und Bewegtheit. M:-t diesen
an d'- Ant Windelband seine überaus bedeutsame
^Urchn,,sst Gegenstand in klarstcn Linien zeichnetc und
^urüe ^ einer Wärme, die dem AugenUick gerecht
tatz gebnnÜi^^Ü Welt, in der der Dichter lebt, hat den An-
^Utsch- Weltfremdheit Schillers zu sprechen. Das
^issens^ki ei-ne Einheit un'd Selbständigkeit durch
dergönnl ni' ^utlichkeit und Kunst gesundcn hatte, ehe es ihm
Dtächtc ssn, ^l -^uu Felde der Sachen, in der Welt der
^inen ' utwn Zusammenzuschließen, feiert in Schiller
fer srhgfkp ,-U.ud crkennt damit an, datz dic Welt, dic der Dich-
datz dil uuiche nend neue und andere Welt, die unsere
^Evas darN„n unserer Geister Kant, Schiller, Goethe
Bildunasmiii-i unverbrüchlich festzuhalten hat.
8 . ittcl der koniglichen Geister Kant und Goethe
hat Schiller in Einklang gesetzt. Höheres als diese Drei- haben
wir auch heute nicht in unserem Bcsttz. Heute ist der tiefe
Jnstinkt der Nation offenbar die sich zum typischen Träger
ihrer Btldungswelt bekennt. Allen jenen 'Geistern war es ge-
meinfam, datz sie überzeugt waren, d:e Nachahmung der Natur
fei ein falsches Stichwort für die Kunst, datz vielmehr der
Künstlcr etwas ganz Eigenes und Eigenwertiges schaffe, wenn
er Kunft erzeuge. Schiller, der populärste Dichter, haschte nicht
nach Popularität, er hat scine Werke -geschaffen ohne nach rechts
u-nd links zu sehen. Er hat es in einem Briefe an Fichte aus-
gesprochen, datz er sein Werk nur als Entfaltung seines Jndi-
viduums ansehc. Sein ganzes Leben war bewutzte Selbständig-
keit seiner Natur. Das wahrhaft Ehrfurchtgebietende an Schil-
ler ist, datz er sein Selbst, sein Jndividuum völlig geftaltet und
cntfaltet Mt. Jn dem Gange feiner Sclbfterziehung hat er den
Künstler und den Denker in einer Einheit verbunden. - Er hat
geleistet, was er von fich forderte. Die Misston der Kunst in der
Menfchenwelt war der grotze Gegenstand seines Nachdenkens:
sie söhne den ins Uebersinnliche ragenden Menschen mit der
sinnlichcn Grundlage seines Daseins aus. So vollzieht Schiller
in seiner Selbstverständigung die einzige Tat, datz er Vcr-
ständnis schafft von der Bedeutung der Kunst für die mensch-
liche Welt und Kultur überhaupt. Er asstmilierte stch die kän-
tische Philosophie. Geschichte und Philosophie traten in den
Mittelpunkt seines Jnteresses, wie Goethe sein Denken vorzugs'-
weise der bildenden Kunst und dcr Natur zugewendet hatte. —
Schillers Briefe über die äfthetische Erziehung, die die Rcsultate
seines Denkens enthalten, zeigen die unbcstochene Klarheit sei-
nes Wirklichkeitsblickes. Das war der Sinn der zähen Arbeit,
üurch die er sich die Kantische Philosoph'e zu eigen gemacht
hatte.
Die Geschichte war ihm das Magazin sciner Phantafie. Zu-
erst formte er den Stoff zu fcinem äfthetischen Gegenstand.
Dann erst, dann aber mit aller Gewalt, kam der dichtcrische
Hauch. So vereinigte diese tiefste Aesthetisierung des Lebens,
wic sie Schiller vollzog, die drei Grundrichtungen des Bewutzt-
seins; das überzeugungsvolle Wollen, die Phantasie und das ver-
standesklare Gestalten. Mit der Formung des ästhetischen Ge-
genstandes vollzieht das Bewutztsein ein Eigentümliches. Die
Welt darf nicht bleiben, wie sie naturnotwendig, wie sie in uns
herüber zu spielen scheint. Dic Welt ist, was wir aus ihr
machen. — Jn der Kunst Schillers wird- das sittliche Bewutztseirr
durchweg künstlerisch gestaltct. Es ist nicht die Meinung, die
Kunst soll Moral lehren und erbaulich sein, aber es ist 'kein
Grund vorhanden, warum die Kunst nicht soll die höchsten Le-
bensinhalte formen dürfen, die die Huinanität ausmachen. Aus-
diesem Gesichtspunkt mutz man das Pathos Schillers betrachten.
Uns Lebendcn gilt das Auskramen des Jnnern als- altfrän-
kisch. Je lebenskräftiger wir werden, desto mehr tritt die Ge-
sinnung ins Jnnerfte. Weil wir so nordisch zurückhaltend ge-
worden sind, haben wir angefangcn, Zweifcl an der Echtheit
des Pathos zu hegen. Redner zitiert die Verse:
„Herzlich ist mir das Laster zuwider und doppelt zuwider
Jst mir's, weil er soviel schwatzen von Tugend gemacht.
Wie, Du hassest die Tugend? — Jch wollte wir übten sie alle,
Und fo spräche, will's Gott, ferner kein Mcnsch mehr davon."
Die hohen Töne, die grotzen Vokabeln, stc begegnen dem
Augurenlächeln, das ihren Träger um seine Ehrlichkcit befragt.
Wir sind erheblich kühler im täglichen Leben als Schillers
Zeitgenossen. Darum mag uns doch die Ueberzeugungskrast
geblieben sein. Die -ganze Wucht des Enthusiasmus würde doch
hervortreten, wenn die gute Sache in Gefahr wäre. Möge nie
die Zeit kommen, wo das Verständnis für Schillers sittlichen
Enthusiasmus geschwunden wäre. Der gehört zu dcn Gütern,
deren fester -Beftand mehr für uns nötig ist als alles Anüere.
Wenn Caroline Schlegel (der romantischc Kreis fiel von den
Die heutige Nummer umsaßt drei Vlätter zusammeu 14 Seiten.
ErfteS Vlatl
47. Zahraang. — Nr. 109
Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. in'S Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigftationen abgeholt 40 Pfg.
Durch die Post bezogen vierteljährlich 1,35 Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.
Anzei^enpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiestge Geschäfts. u. Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heiüelberger Zeitung u. den städt. Anschlagstellen. Fernspr. 82.
— Der Reichstag und das preußische Ab-
3 e o r d u e t e n h a u s uehmen inorgeu ihre Tätigkeit
wieder auf. Ju der Presse uud in parlaimentarischen
^eisen beschäftigt man sich mit der Frage, ob sie die noch
^usstehenden Aufgaben bis Pfingste n werden bewÄ-
Agen können. Jm! Abgeord'neten-Haus' handelt es stch
bauptsächlich um die br ei Ber g g e s e tz e, betr. den
Arbeiterschutz, die Stillegung der Zechen und die Beschrän-
tung Mutungen. Es ist, da für alle diese Gesetze ja
"uch noch das Herrenhaus in Betracht kommt, wie die
"Ärankfurter Zeitung" hervorhebt, znm mindesten frag-
^sch, ob die Session vor Pfingsten wird geschlossen werden
tonnen. 'Un unterrichteten Stellen nimmt man übrigens
Uch' daß die Kouservativen des Wgeord-N'et'enhauses ohne
oesonüere Schwierigkeit das Bergarbeiterschutzgesetz schlietz-
"ch in einer der Rsgierung annehmbaren Form werden
^stande bringen helfent Der Gesichtspunkt, daß. die
Kons.ervativen keinen Anlaß haben, sich gegen
^urtig mit dem Grafen Bülow zu entzweisn, dürfte dabei
Ausschlag geben. Jm Reichstag-e ist demfelben Blatt
^ufolge die Beendignng der Arbeiten, — sei es durch Ses-
iwnsschs^^ d'urch Nertagung — vor Pfingsten sehr
^hrscheinlich. Tabei wird vorausgesetzt, daß das Mili-
orpensionsgesetz unerledigt bleibt, weil das Zentrum da-
sauf besteht, daß di-eses Gesetz nicht ohne vorherige Lö-
der Deckungsfrage beschlossen werden dürfe. Die
^form der Börsengsfetzgebun'g wird, dank der Zeitvergeu-
die der Reichstag in den ersten Monaten betrieben
^ot, durch Obstruktion vereit-elt werben. Sonst hat der
/sErchstag nur noch kleinere Aufg'aben vor sich, die leicht
Pfingsten werden erledigt wevdsn können: Dis Ent-
^uung des Reichsgerichts, das Totalisatorgesetz, die Meß-
ud Gemichtsordnung, ein Nachtragsetat für Südwest-
Der agrarischen Bkehrheit sind nur noch zwei
-.^igaben. besonders wichtig: der Untrag' Kanitz, der die
^ollkredite Mr die Getreideeiufuhr schon vom 1. Juli an
Aoitigen will, und die Abänderungen der Besiimmnngen.
! W Bürgerlichen Gesetzbuchs ,über die Haftung des Tier-
^lters, Dafür soll der Reichstag, wie .das Organ des
.-^^des der Lan-dwirte wieder einmal mahnend und be-
/hlvörend auseinandersetzt, nochmals beschlußfähig ge-
uacht werden, und der Regiernng, die gsgen die vor-
M"ge Aufhebung der Zollkredite Bedenken geäußert hat,
von rreuem vorgchalten, daß, wenn sie nicht alles tut,
M. diese Forderungen der Agrarier zn erfüllen, dann das
^^Ende Vertrauen der Landwirtschaft sich wieder in
"ktrauen wandeln werde.
Heute, Mittwoch, vollendet ein auch als Schrist-
, or bestens bekannter alter Marineoffizier, der Mze-
- bnral m D. Reinhold von Werner, sein 80. L e -
I a h r.
Baden.
-der ^ lsru h e, 9. Mai. Me Lan'desversammlung
H l i r ch l t ch -1 i b e r a le n Vereinigung in
Dies ^ am 24. Mai in Offenburg stattfinden.
>ar VerscUnmIuna kommt eine ganz besondere Bedeu-
tung zu, nicht nur, weil sie sich einen neuen Borsitzenden
geben wird, sondern weil sie die Ziele, die in den nächsten
Jahren zu erstreben sinü' und die Wege, auf denen diese
Ziele erreicht werden sollen, sestzustellen h-at. Der bishe-
rige v-erd'iente Vorsitzen.de, Staütpfarrer D. Hönig in
Heidelberg, hat dieses Amt nied-ergelegt, die Landesver-
sammlung wird diesmal daher von dem SteMertreter,
Stadtpfarrer Rapp - Karlsruhe geleitet werden. Stadt--
vikar llie. Wielandt - Heidelberg wird einen Vortrag
Wsr „Neue nötige Wege" h-alten. Neben den pro-
grammatischen Festlsgungen soll auch die Organisation
der kirchlich-Iiberalen Vereinigung gefestigt und erweitert
werden, und- man- ist auch- bestrebt, das L-aienelenient miehr,
als bisher geschehen, beizuziehen.
T a u b e r b is ch o f s h e i m, 8. Mai. Benefiziat
Dr. Schofer hat bereits mit seinen WahIreifen
im Bezirk Tauberbischofsheim begonnen und der ultra-
montane „Tauber- und Frainkenbote" ist eifrig bemüht,
seine Kandidatur „populär" zu machen. So heißt es in
einem Bericht aus Uissigheim: „Sch.ofers' Worte wnrden
mit großem Beifall.aufgenomnüen, ein „Beweis" (!), daß
auch- (!) die anwesenden Wähler ihn für den g-eeignetsten
Mann halten. Anßerball' bieser Verfammlungi ist von
dieser angeblichen „BegöisteMng" für die Kändidatur
Schofer nichts zu bemerken. Wenn die Landwirte unter
sich sind, lautet die Mslodie ganz anders als in Gegen-
wart der Herren Geistlichen, aus denen sich- in der Haupt-
fache der Agitationsstab' des Zentrumskandidaten rekru-
tiert. Jn Uissigheim sprcichen beispielsweise außer dem
Kandidaten und deni Redakteur des- „Tauberbotsn" drei
'Geistliche, darnnter der Ortspfarrer. Unter solchen Um°
ständen ist natürlich d'er „Beifall" unausbleiblich; ob es
aber anch- von Herzen kommt und die wirkliche Stimmung
der Landwirte zum Ausdrnck bringt, möchten wir sehr be-
zweifeln.
Aus Äer KarLsrNtzer ZeiLuKg.
— 'Seine Könlgliche Hoheit der Grotzherzog haüen
dem Königlich Grotzbritannischen Konsut Kavl Anton N.ietzen
i.n Köln das Ritterkrcuz 1. Klasse des Ordens vom ZSHringer
Löwcn, dem Altbürgermeister Andreas Hettichin Erdmanns--
weilcr die tleine gotdene Verdienstmcdaille, dem Kaminfeger-
uiehter Karl Sulzer in Kenzingen, dem Faschinenlcger
Friedrich Knobloch in Eggenstein, dem Salzstcuererhelber
David Kopf in Whhlen und dem Requisttengehilfen Karl
Schaller bcim Hoftheater in Karlsruhe die silberne Ver-
dienstmedaille berliehen.
— Betriebsasststent Johann Pschiebel in Gengenbach
wurde nach Appenweier versetzt.
Karlsruhe, 9. Mai. Gsftern Abend besuchten
der Großherzog, der Erbgroßherzog und die Erbgroßher-
zogin die städtische Schillerfeier in der Festhalle und ver-
weilten daselbst don Anfang bis zum S-chluß. Die
Großherzogin kam wegen der um 8 Uhr 32 Minuten er-
folgten Abreife des Prinzen Adalbsrt von Preußen erst
später in die Festhalle. Heute Dormittag halb 10 Ulir
empfing der Grobherzog den Präsidenten Dr. Nieolai zur
Vortragserstattung. Die Großherzogin wohnte nm 10
Uhr der Schillerseisr in der Höh-eren Mädch^enschule an.
Um 11 Uhr begaben sich die Grohherzoglichen und Erb-
großherzoglichen Herrfchaften in die Aula der Technischen
Hochschule, um an der dort ftattfindenden Schillerfeier
teilzunehmM. Jm Laufs des Nachmittags hörte der Groß-
herzog die Vorträge des Präsidenten Dr. Nicolai und des
Geheiinerats Dr. Freiherrn von Babo. Abends werden
der Großherzog, die Großherzogin, der Erbgroßherzog und
die ErbgroMerzogin der Schiller-Gedenkfeier im Groß-
herzoglichen Hofthsater beiwohnen.
AüSlarrd.
Aincrika.
W ashington, 9. Mäi. Der amerikanifche Ge-
neralkonful Madon befürwortet in feinem Bericht an
das Staatsdepartement den Wfchluß eines Handels -
vertrags zwischen Deutschland und- Amerika,
der größere Gegenfeitigkeit vorjieht nnd die währeii Jn-
teressen der beiden Nationen schütze.
— Chicago ist in den Händen eines nach Tausen--
den zählenden' Mobs und während der letzten Tage kam
es unausgesetzt zu e r bi t t e r t e n S t r aße n -
kämpfen. Seit der berüchtigten Haymarket Tragödie,
die sich vor 19 Jahren abspielte, und bei der 8 Polizisten
durch Dynamitbomiben getötet und- 66 Perfonen verwundet
wurden, hat die Stadt keins ähnliche Heimsuchung erfah-
ren. Jn dein Geschäftsviertel Chicagos herrscht die voll--
ständige Anarchie und gleich schlimm steht es in den-
Außenbezirken aus, wo sich die Stallungen und Schuppen
der großen G,eschäfts'h-äufer' besindsn. Jn den Kämpfen
zwischen den ansständigen Fuhrleuten und den Negern„
die an ihrer Stelle in Dienft gonommen wurden, ftnd be-
reits drei Personen getötet und in einer Nacht über 100
fchwer verwundet ivorden und- alle Krankenhäufer sind
mit Verwundeten, namentlich Arbeitern, überfüllt, die
Schnßwunden oder Knochenbrüche davongetragen haben.
Der Aufruhr hat einen- derartigen Umifang erreicht, daß
die Polizei ganz inachtlos' ift. Der Bürgeransschuß hat
den Gouverneur Duneen verftändigt, daß ein Zustand
offenen Au'stuhrs herrscht und werden nun die in der
Nahe von Chicago in einem großen Feldlager befindlichen
Trnppen bereit gchalten, um erforderlichen Falles einzu-
schreiten. Die Arbeitgeber haben beschlossen, keine Neger
mehr in Dienst zu neh'Men, da dies eine große Erbitternng
'hsrvorgerufen hat und Zum großen Teile für die einge-
rissenen Zustände verantwortlich ist.
Ans Stadt uud Lanö.
Heidelbcrg, 10. Mai.
—— Schiller in Heidelberg. Der Festredner vom vorigen
Sonntag, Herr Prof. Rösiger, schreiüt uns: Gestatten Sie
m:r ten Jrrtum des Herrn H. H. zu berichtigen, der einfach
behauptet, die Festredner hätten die Tatsache übersehen, datz
Schiller selbft einmal in Heidelberg war. Jch persönlich hakbe
es crwähnt und daran die Betrachtung geknüpft, daß auf Schil-
ler die Natur Heidel'bergs nicht so wirkte wie auf Goethe. Die
bekannte Stelle aus dem schönen Buche Ulrichs über Charlotte
und ihre 'Freunöe, von der H. H. spricht, wird crgänzt durch
Charlottens Briefe aus Heidelberg vom 6. Aug., 20. Aug., 11.
Septbr. 1810 und auch durch die schöne Festrede, die am 10. No-
vember 1850 der bekannte Archäolog Bernhard Stark in Hei-
Schillerfeier dev Universität.
^ Heidelberg, 10. Mai.
ten Sl^cnMuseumsfaale hatten sich am Schillertage Dozen
wn g v,tf^nten und Tcilneh
Die LüA: «bends vercinigt
6 und Tcilnehm. r aus allcn Kreisen unserer Stadt
-vie abends vereinigt zum Gedächtnis Fricdrich Schillers.
Pofition - ivurde eingeleitet durch den Vortrag der Kom-
^fchioss-^^' 'ärydns zum Gedichte „Die Teilung der Erde ,
Cin "Urch den Carl Loewcschen „Grafen von Habsburg".
dem Aufang: „Nehmt hin die Weltl" Nach-
stat Geb der mit schöner Kraft vorgetragen, geendet,
daz PalnxÄ^ Prof. Dr. Windelband auf das Kathcder,
^eraekröni? Blattpflanzen schmückten, vor dem eine lor-
Willft Schillers stand.
fn meinem- Himmel m:t mir leben, so oft Du
Unserem °fstn stin", diese Zusage haben die Götter
?u«en A^hulten. Sie führten ihn hinauf aus eincm
lchaue'n ^ "Ä^u zur Fülle der Gestalten: sie ließen ihn
Sätzen Wclt, -voll Far'be und Bewegtheit. M:-t diesen
an d'- Ant Windelband seine überaus bedeutsame
^Urchn,,sst Gegenstand in klarstcn Linien zeichnetc und
^urüe ^ einer Wärme, die dem AugenUick gerecht
tatz gebnnÜi^^Ü Welt, in der der Dichter lebt, hat den An-
^Utsch- Weltfremdheit Schillers zu sprechen. Das
^issens^ki ei-ne Einheit un'd Selbständigkeit durch
dergönnl ni' ^utlichkeit und Kunst gesundcn hatte, ehe es ihm
Dtächtc ssn, ^l -^uu Felde der Sachen, in der Welt der
^inen ' utwn Zusammenzuschließen, feiert in Schiller
fer srhgfkp ,-U.ud crkennt damit an, datz dic Welt, dic der Dich-
datz dil uuiche nend neue und andere Welt, die unsere
^Evas darN„n unserer Geister Kant, Schiller, Goethe
Bildunasmiii-i unverbrüchlich festzuhalten hat.
8 . ittcl der koniglichen Geister Kant und Goethe
hat Schiller in Einklang gesetzt. Höheres als diese Drei- haben
wir auch heute nicht in unserem Bcsttz. Heute ist der tiefe
Jnstinkt der Nation offenbar die sich zum typischen Träger
ihrer Btldungswelt bekennt. Allen jenen 'Geistern war es ge-
meinfam, datz sie überzeugt waren, d:e Nachahmung der Natur
fei ein falsches Stichwort für die Kunst, datz vielmehr der
Künstlcr etwas ganz Eigenes und Eigenwertiges schaffe, wenn
er Kunft erzeuge. Schiller, der populärste Dichter, haschte nicht
nach Popularität, er hat scine Werke -geschaffen ohne nach rechts
u-nd links zu sehen. Er hat es in einem Briefe an Fichte aus-
gesprochen, datz er sein Werk nur als Entfaltung seines Jndi-
viduums ansehc. Sein ganzes Leben war bewutzte Selbständig-
keit seiner Natur. Das wahrhaft Ehrfurchtgebietende an Schil-
ler ist, datz er sein Selbst, sein Jndividuum völlig geftaltet und
cntfaltet Mt. Jn dem Gange feiner Sclbfterziehung hat er den
Künstler und den Denker in einer Einheit verbunden. - Er hat
geleistet, was er von fich forderte. Die Misston der Kunst in der
Menfchenwelt war der grotze Gegenstand seines Nachdenkens:
sie söhne den ins Uebersinnliche ragenden Menschen mit der
sinnlichcn Grundlage seines Daseins aus. So vollzieht Schiller
in seiner Selbstverständigung die einzige Tat, datz er Vcr-
ständnis schafft von der Bedeutung der Kunst für die mensch-
liche Welt und Kultur überhaupt. Er asstmilierte stch die kän-
tische Philosophie. Geschichte und Philosophie traten in den
Mittelpunkt seines Jnteresses, wie Goethe sein Denken vorzugs'-
weise der bildenden Kunst und dcr Natur zugewendet hatte. —
Schillers Briefe über die äfthetische Erziehung, die die Rcsultate
seines Denkens enthalten, zeigen die unbcstochene Klarheit sei-
nes Wirklichkeitsblickes. Das war der Sinn der zähen Arbeit,
üurch die er sich die Kantische Philosoph'e zu eigen gemacht
hatte.
Die Geschichte war ihm das Magazin sciner Phantafie. Zu-
erst formte er den Stoff zu fcinem äfthetischen Gegenstand.
Dann erst, dann aber mit aller Gewalt, kam der dichtcrische
Hauch. So vereinigte diese tiefste Aesthetisierung des Lebens,
wic sie Schiller vollzog, die drei Grundrichtungen des Bewutzt-
seins; das überzeugungsvolle Wollen, die Phantasie und das ver-
standesklare Gestalten. Mit der Formung des ästhetischen Ge-
genstandes vollzieht das Bewutztsein ein Eigentümliches. Die
Welt darf nicht bleiben, wie sie naturnotwendig, wie sie in uns
herüber zu spielen scheint. Dic Welt ist, was wir aus ihr
machen. — Jn der Kunst Schillers wird- das sittliche Bewutztseirr
durchweg künstlerisch gestaltct. Es ist nicht die Meinung, die
Kunst soll Moral lehren und erbaulich sein, aber es ist 'kein
Grund vorhanden, warum die Kunst nicht soll die höchsten Le-
bensinhalte formen dürfen, die die Huinanität ausmachen. Aus-
diesem Gesichtspunkt mutz man das Pathos Schillers betrachten.
Uns Lebendcn gilt das Auskramen des Jnnern als- altfrän-
kisch. Je lebenskräftiger wir werden, desto mehr tritt die Ge-
sinnung ins Jnnerfte. Weil wir so nordisch zurückhaltend ge-
worden sind, haben wir angefangcn, Zweifcl an der Echtheit
des Pathos zu hegen. Redner zitiert die Verse:
„Herzlich ist mir das Laster zuwider und doppelt zuwider
Jst mir's, weil er soviel schwatzen von Tugend gemacht.
Wie, Du hassest die Tugend? — Jch wollte wir übten sie alle,
Und fo spräche, will's Gott, ferner kein Mcnsch mehr davon."
Die hohen Töne, die grotzen Vokabeln, stc begegnen dem
Augurenlächeln, das ihren Träger um seine Ehrlichkcit befragt.
Wir sind erheblich kühler im täglichen Leben als Schillers
Zeitgenossen. Darum mag uns doch die Ueberzeugungskrast
geblieben sein. Die -ganze Wucht des Enthusiasmus würde doch
hervortreten, wenn die gute Sache in Gefahr wäre. Möge nie
die Zeit kommen, wo das Verständnis für Schillers sittlichen
Enthusiasmus geschwunden wäre. Der gehört zu dcn Gütern,
deren fester -Beftand mehr für uns nötig ist als alles Anüere.
Wenn Caroline Schlegel (der romantischc Kreis fiel von den
Die heutige Nummer umsaßt drei Vlätter zusammeu 14 Seiten.