^Dienstag, 9. Mai 1905.
Erstes Vlatt.
47. Jahrgang. — Nr. 108.
Erscheinttäglrch, Sonntags auSgenommen. Preis mit FamilienLlättern monatlich 60 Pfg. in'S Haus gebracht, bei -er Expedition und den Zweigstationen abgeholt 40 Pfg.
Durch die Post bezogen vierteljährlich 1,38 Mk. auSschlietzlich Zustellgebnhr.
^nzeigenpreis: 20 Pfg. für üie Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- u. Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
°n bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung u. den städt. Anschlagstellen. Fernspr. 82.
Kaisertage in Karlsruhe.
L.O. Karlsruhe, 8. Mai. Heute
^"tag halb 11 Uhr hat dcr Kaiser
^nsere Stadt verlassen, nachdem bereits
gestern Abend 10.20 Uhr die Kaiserin
^ch nach Gera begeben hatte. Damit
stnd eine Reihe festlicher Tage in die
^rgaugenheit gcsunken. Ten bisherigcn
^richten sei noch Einiges ergänzend
""chgetragen.
Am Samstag, während die fürstlicheu
^rrrschaften Familientafel abhielten, wäh-
^nd Boettge konzertierte, füllten Tausende
?n Promenierendcn den Schloßplatz und
^'cht bloß Neugierde, sondern herzliche
^rehrung hatte sie her getricben. Bildete
och Kaiser und fein Haus das
'Zaupttagesgespräch Karlsruhes. Mit
Meuden hatte man sein gutes Aussehen,
^ne frische Energie in Bewegung und in
^fvrt beobachtct, die den verstreuten Ge-
^stchten von nervöser Ueberreizung widcr-
wrachen. Uuck der Kaiserin und den
^stlZen Adalbert und Oskar scheint die
ltttelmeerfahrt gnt bekommen zu haben.
, ?stZ Oskar reiste, nachdem er noch mit
^ssten hohen Eltern und Verwandten dcn
genommen hatte, 5.45 Uhr nach
bm? DaZ Familiendiner war aus
^ Uhr angesetzt. Jnfolge dessen
.chogsrte stch der Theaterbesuch um etwa
^ Stunde. Auf allerhöchften Bcfehl
de« "Wilhelm Tell" angekündigt wor-
iou' neue dckorative AuSstattung,
sür die Neueinstudierung sür den
ist'^' ^er ein großer Theaterliebhaber
q ' stEsonderen Genuß versprach. Die Erb-
r°j.,st^oglichen Herrschaften waren be-
Zst Ansang der Vorstellung im
m^stter und nahmen in der ersten
zw . »iumsloge links Platz, in der
bm. st, in der bereits mehrere Hofdamen Platz genommen
^ -sst- fand sich bald nach ihnen Prinzeß Wilhelm ein.
2 A ^em ersten Akte erfolgte cine längere Pause, da der
G AEt nicht vor Eintritt des Kaisers beginnen sollte.
e^n uhr erschienen die hohen Herrschaften im hell
leuchteien Hause, empfangen vom Jntendanten Dr. Basser-
I "st- der sie in die rechten Proszeniumslogen geleitete.
ersten nahmen das Kaiserliche und Großherzogliche
fM?'in der zweiten Prinz und Prinzessin Max Platz. Das
^ , gekleidete Publikum hatte sich beim Eintritt der
dg-ibstäten erhoben und stimmte begeistert in das Hoch ein,
temu"^ lstegisseur ausbrachte. llnter Michael Ballings äußerst
H peianmRMler, Leitung intonierte das Hoforchester die
die ^stihhmne, die stehend angehört wurde. Darauf nahm
dt° ^stellung ihren Fortgang. Es ist begreislich, daß
irkenden ihr bestes Können zeigten und die fürst-
Mitw
xfricvrich vo» Schiller.
licken Herrschaften, an ihrer Spitze der Kaiser, geizten
iüc!.,r mit dem Beifall. Wilhelm II., der selbst manch-
mal den Regisseur spielt, folgte gespannt den einzel-
nen Vorgängen und neigte auch bei verschiedenen Lei-
stungen des öfteren anerkcnnend das Haupt. Auch
Direktor Wolf, der Dekorationskünstler, empfing hohen Bei-
fall, als das Publikum ihn vor die Rampe rief. Während
der großen Pausen blieben die Fürstlichkeiten in lebhaftem
Gespräch in den Logen. Die Kaiserin war in einer weiß-
seidcnen Prinzeßrobe mit Valenciennesspitzen erschienen, das
bekannte wundervolle Brillantendiadem in der Frisur. Auch
die anderen hohen Herrschaften waren in großer Hoftoilette
bezw. großer Uniform erschienen. Trotzdem die Vorstellung
sich bis gegen halb 11 Uhr hinzog, blieben die Fürstlichkeiten
bis zum Schlusse. Auf dem Rückwege nach dem Schlosse
durch den gedcckten Gang wurden ihnen von der, den Theater-
und Schloßplatz füllenden Menge stür-
mische Ovationen dargebracht.
Gestern, Sonntag Morgen, wohnten
der Kaiser und die Kaiserin, sowie der
Großherzog, der Erbgroßherzog nebst
Gemahlinnen dem Gottesdienst in der
Schloßkirche bei. Auf den beiden Em-
poren, die für die Hofgesellschaft reser-
viert stnd, nahm das Gefolge des Kaisers
Platz. Die Ordnung des Gottesdienftes
war die übliche. Der Großh. Hofkirchen-
chor leitete ein mit N. Gades: „Der
Herr ist mein getreuer Hirt". Die Altar-
gebete verlas Herr Hofprediger Fischer.
Die Predigt hatte Exz. Helbing, Präsident
des evang. Oberkirchenrats, übernommen
und zwar sprach er über 2. Tim, 2, 8:
„Halte im Gedächtnis Jesurn Chri-
stum, der auferstanden ist von den
Toten". Den Schluß machte der Hof-
kirchenchor mit „Du Siegesheld, Herr
Jesu Christ". Die Leitung der Chöre lag
in den bewährten Händen des Herrn Hof-
musikdirektor Brauer, der mit vollster Hin-
gabe auf die Feinheiten des Gade'schen
Chores einging und damit eine kirchlich
ftimmungsvolle Weihe hervorxief, wie sie
zu einem Festgottesdienst besonders paßt.
Die Auswahl der Chöre traf die Frau
Großherzogin selbst. Nach dem Gottes-
dienst ftellte Seine Königliche Hoheit der
Großhsrzog Seincr Majestät dem Kaiser
den Geheimerat I). Helbing vor. Daran
schloß sich eine längere Unteiredung, in
welcher Sich Seine Majestät der Kaiser
von Geheimerat v. Helbing eingehend
Aufschluß übcr die Verhältnisse unserer
evangelischen Landeskirche geben ließ.
Hierauf nahm der Kaiser militärische Mel-
dungen entgegen, bis man gegen 1 Uhr
sich bei den erbgroßherzoglichen Herr-
schaften zum Frühstück einfand. Der
Kaiser, der auf dem Wege dahin sehr lebhaft mit dem Groß-
herzog plauderte, zeigte auch bei der Rückfahrt heiterste
Stimmung. Um 5 Uhr empfing Exz. Eisendecher die hohen
Herrschaften zum Tee. Vorher hatte die Kaiserin noch die
Grabkapelle des Prinzen Ludwig von Badcn im Fasauen-
garten besucht. Der Abend sah Wilhelm II. nebst Gemahlin,
Großherzog und Großherzogin nach einem kurzen Jmbiß
wieder im Theatcr, wo des Kaisers Lieblingsoper
„Der Wasserträger" von Cherubini gegeben wurde.
Die Vorstellung nahm einen glatten Verlauf, sämt-
liche Mitwirkenden boten vorzügliche Leistungen und auch
die prächtige Ausstattung und Jnszenierung, nament-
lich die deS Vorspiels, verfehlte ihre Wirkung aus das zahl-
reich erschienene, festtäglich gekleidete Publikum nicht. Die
temperamentvolle Leitung des Herrn Balling hielt das Jn-
teresse an diesem Werke bis zum Schlusse wach. Der Kaiser,
Lum y. Mai lyos.
Ts geht ein Alingen durch die Lande
^ rein und hell, wie nie zuvor,
^ dringt in alle deutsche Herzen,
öffnet sedes Hauses Tor!
Es braust ein Aturmwind aus den Tiefen,
jubelt froh aus lichten Höh'n,
^^Ur Losung will cs bringen:
»Dein lVerk, mein 5chiller, muß besteh'n!"
Nag auch der flücht'gen Zeiten Drängen
^ald Dich erheben, bald Dich schmäh'n,
^as Du, Unsterblicher, geschaffen,
^ann, darf und soll nicht untergeh'n!
was Du erstrcbt in kurzem Leben,
Don Dlenschennot und öorg' bedrückt,
Ist unvergänglich Trbteil worden,
Wen noch das Zdeal beglückt!
Das Zdeal des Wahren, öchönen,
In das die N)elt flch dann versenkt,
Wenn unser Denken, unser Fühlen
Hach aufwärts zu den öternen drängt!
Tin b)eld des Geist's, ein Held des Lebens! —
5o steht Dein Bild sür alle Zeit!
Drum tön's aus dankerfüllten Herzen
Bis in die fernfte Twigkeit:
„Tin Friedrich Achiller konnt' wohl sterben,
was irdisch an ihm war, vergeh'n! —
Doch was er sprach und sang, muß leben
Und zeuaen von der Blenscbheit Häh'n!"
__ F. T.
Schillerfeier im Stadttheater.
Heidelberg, S. Mai.
Preiscnd in vicl schönen Reden hat man in diesen Tagen
den 'Genius Schillers bcschworen; man hat den Charakter, die
Energie, die mächtige Phantasie, den philosophischen Erkenntnis-
trieb, ücn Seelenadel des Dahingeschiedenen gerühmt und das
köstliche Ergebnis seines Schaffcns üem Volke in Worten ge-
zeigt und ldeutlich gemacht; aber den unmittelbaren und wahren
Einblick in Schiller gewinnt man doch erst, wenn man ihn selbst
sprechen hört, wenn man ihn direkt zu uns reden läßt. Des-
halb haben viele deutsche Bühnen in diesen Wochen die Ge-
samtheit oder einen grötzeren Tetl seiner dramatischen Werke
aufgeführt; sie haben das als eine Pflicht und eine Ehren-
schuld betrachtet. Auch unsere Bühne wird, wie wir hoffen,
in der kommenden Spielzeit im nächsten Herbst nachholen, was
sie während der Ferienruhe des Sommers wohl oder übel unter-
laffen nrutzte.
Aber es sollte die Jeier des 100. Todestages Schillers nicht
vorübergehen, ohne datz auch das Heidelberger Publikum von
dem Hauch, der durch Schtllers dramattsche Werke geht, berührt
und tn seinem Gemüt entzündet würde, ohne datz das Fener
setnes Geistes auch die Hetdelberger bestrahlt und erwärmt
hätte. Ein Komitee aus Bürgern aller Stände, unterstützt,
durch die freudige Mitarbeit aller derjenigen Damen und
Herren, an die der Appell crging, hat sich der Sache angenorn-
men und zu der Gedenkfeier eine Aufführung von „W allen -
steins Lager" vorbereitet. Man hat cine Anzahl von
Wiederholungen der Vorstellung in Aussicht genommen und die
Mehrzahl der Rollen darum doppelt besetzt.
Gestern Abend nun ging die erste öffentliche Aufführung
vor vollbcsetztem Hause von statten, nachdem durch die General-
proben schon bekannt geworden wär, datz man seine Erwartun-
gen hochspanncn dürfe und nicht nötig habe, den vielberufenen
guten Willen für die Tat zu nehmen.
Auch anderwärts hat man das Gedächtnis Schillers mit
Dilettanten-Aufführung gu ehren gesucht; so z. B. in Berlin
mit einer Aufführung der „Räuber" durch Stuidierende. Wer
indeffen in den Berichten zwischen den Zeilen zu lesen vermag,
der mußte sich sagcn, datz da Vieles mit dem Mantel der Liebe
bedeckt worden ist.
Hier war dies nicht nötig. Wir hatten hier gestern eine
Aufführung, die fich in jeder Hinsicht sehen lassen konnte. Eine
ungemein sorgfältige und cnergische Regie, untcrstützt durch
die innere Anteilnahme und eisrige Bereitwilligkeit !^r Mtt-
wirkenden brachte es fertig, ein Lagerbild hinzuzaubern, an
dcm man seine helle Freude haben konnte. Was dic Regisseure,
dic Herren Konsul Kellner und Dr. Pfeiffer da ge-
leistet haben, erweckt die größte Bewunderung und verdient volle
Anerkennung. Wie tot erscheinen oft die Massen-
szenen selbst auf größeren Bühnen. Hier war alles
Leben, alles lebendiger Flntz, ein wohlabgestimmtcr Zu-
sammenklang von Regnng und Bewegung. Man hörte im
Publikum das Wort „Meiningen" und in der Tat, was die le-
bendige Durcharbeitung der Masse anbetrifft, so war die Lager-
Erstes Vlatt.
47. Jahrgang. — Nr. 108.
Erscheinttäglrch, Sonntags auSgenommen. Preis mit FamilienLlättern monatlich 60 Pfg. in'S Haus gebracht, bei -er Expedition und den Zweigstationen abgeholt 40 Pfg.
Durch die Post bezogen vierteljährlich 1,38 Mk. auSschlietzlich Zustellgebnhr.
^nzeigenpreis: 20 Pfg. für üie Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- u. Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
°n bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung u. den städt. Anschlagstellen. Fernspr. 82.
Kaisertage in Karlsruhe.
L.O. Karlsruhe, 8. Mai. Heute
^"tag halb 11 Uhr hat dcr Kaiser
^nsere Stadt verlassen, nachdem bereits
gestern Abend 10.20 Uhr die Kaiserin
^ch nach Gera begeben hatte. Damit
stnd eine Reihe festlicher Tage in die
^rgaugenheit gcsunken. Ten bisherigcn
^richten sei noch Einiges ergänzend
""chgetragen.
Am Samstag, während die fürstlicheu
^rrrschaften Familientafel abhielten, wäh-
^nd Boettge konzertierte, füllten Tausende
?n Promenierendcn den Schloßplatz und
^'cht bloß Neugierde, sondern herzliche
^rehrung hatte sie her getricben. Bildete
och Kaiser und fein Haus das
'Zaupttagesgespräch Karlsruhes. Mit
Meuden hatte man sein gutes Aussehen,
^ne frische Energie in Bewegung und in
^fvrt beobachtct, die den verstreuten Ge-
^stchten von nervöser Ueberreizung widcr-
wrachen. Uuck der Kaiserin und den
^stlZen Adalbert und Oskar scheint die
ltttelmeerfahrt gnt bekommen zu haben.
, ?stZ Oskar reiste, nachdem er noch mit
^ssten hohen Eltern und Verwandten dcn
genommen hatte, 5.45 Uhr nach
bm? DaZ Familiendiner war aus
^ Uhr angesetzt. Jnfolge dessen
.chogsrte stch der Theaterbesuch um etwa
^ Stunde. Auf allerhöchften Bcfehl
de« "Wilhelm Tell" angekündigt wor-
iou' neue dckorative AuSstattung,
sür die Neueinstudierung sür den
ist'^' ^er ein großer Theaterliebhaber
q ' stEsonderen Genuß versprach. Die Erb-
r°j.,st^oglichen Herrschaften waren be-
Zst Ansang der Vorstellung im
m^stter und nahmen in der ersten
zw . »iumsloge links Platz, in der
bm. st, in der bereits mehrere Hofdamen Platz genommen
^ -sst- fand sich bald nach ihnen Prinzeß Wilhelm ein.
2 A ^em ersten Akte erfolgte cine längere Pause, da der
G AEt nicht vor Eintritt des Kaisers beginnen sollte.
e^n uhr erschienen die hohen Herrschaften im hell
leuchteien Hause, empfangen vom Jntendanten Dr. Basser-
I "st- der sie in die rechten Proszeniumslogen geleitete.
ersten nahmen das Kaiserliche und Großherzogliche
fM?'in der zweiten Prinz und Prinzessin Max Platz. Das
^ , gekleidete Publikum hatte sich beim Eintritt der
dg-ibstäten erhoben und stimmte begeistert in das Hoch ein,
temu"^ lstegisseur ausbrachte. llnter Michael Ballings äußerst
H peianmRMler, Leitung intonierte das Hoforchester die
die ^stihhmne, die stehend angehört wurde. Darauf nahm
dt° ^stellung ihren Fortgang. Es ist begreislich, daß
irkenden ihr bestes Können zeigten und die fürst-
Mitw
xfricvrich vo» Schiller.
licken Herrschaften, an ihrer Spitze der Kaiser, geizten
iüc!.,r mit dem Beifall. Wilhelm II., der selbst manch-
mal den Regisseur spielt, folgte gespannt den einzel-
nen Vorgängen und neigte auch bei verschiedenen Lei-
stungen des öfteren anerkcnnend das Haupt. Auch
Direktor Wolf, der Dekorationskünstler, empfing hohen Bei-
fall, als das Publikum ihn vor die Rampe rief. Während
der großen Pausen blieben die Fürstlichkeiten in lebhaftem
Gespräch in den Logen. Die Kaiserin war in einer weiß-
seidcnen Prinzeßrobe mit Valenciennesspitzen erschienen, das
bekannte wundervolle Brillantendiadem in der Frisur. Auch
die anderen hohen Herrschaften waren in großer Hoftoilette
bezw. großer Uniform erschienen. Trotzdem die Vorstellung
sich bis gegen halb 11 Uhr hinzog, blieben die Fürstlichkeiten
bis zum Schlusse. Auf dem Rückwege nach dem Schlosse
durch den gedcckten Gang wurden ihnen von der, den Theater-
und Schloßplatz füllenden Menge stür-
mische Ovationen dargebracht.
Gestern, Sonntag Morgen, wohnten
der Kaiser und die Kaiserin, sowie der
Großherzog, der Erbgroßherzog nebst
Gemahlinnen dem Gottesdienst in der
Schloßkirche bei. Auf den beiden Em-
poren, die für die Hofgesellschaft reser-
viert stnd, nahm das Gefolge des Kaisers
Platz. Die Ordnung des Gottesdienftes
war die übliche. Der Großh. Hofkirchen-
chor leitete ein mit N. Gades: „Der
Herr ist mein getreuer Hirt". Die Altar-
gebete verlas Herr Hofprediger Fischer.
Die Predigt hatte Exz. Helbing, Präsident
des evang. Oberkirchenrats, übernommen
und zwar sprach er über 2. Tim, 2, 8:
„Halte im Gedächtnis Jesurn Chri-
stum, der auferstanden ist von den
Toten". Den Schluß machte der Hof-
kirchenchor mit „Du Siegesheld, Herr
Jesu Christ". Die Leitung der Chöre lag
in den bewährten Händen des Herrn Hof-
musikdirektor Brauer, der mit vollster Hin-
gabe auf die Feinheiten des Gade'schen
Chores einging und damit eine kirchlich
ftimmungsvolle Weihe hervorxief, wie sie
zu einem Festgottesdienst besonders paßt.
Die Auswahl der Chöre traf die Frau
Großherzogin selbst. Nach dem Gottes-
dienst ftellte Seine Königliche Hoheit der
Großhsrzog Seincr Majestät dem Kaiser
den Geheimerat I). Helbing vor. Daran
schloß sich eine längere Unteiredung, in
welcher Sich Seine Majestät der Kaiser
von Geheimerat v. Helbing eingehend
Aufschluß übcr die Verhältnisse unserer
evangelischen Landeskirche geben ließ.
Hierauf nahm der Kaiser militärische Mel-
dungen entgegen, bis man gegen 1 Uhr
sich bei den erbgroßherzoglichen Herr-
schaften zum Frühstück einfand. Der
Kaiser, der auf dem Wege dahin sehr lebhaft mit dem Groß-
herzog plauderte, zeigte auch bei der Rückfahrt heiterste
Stimmung. Um 5 Uhr empfing Exz. Eisendecher die hohen
Herrschaften zum Tee. Vorher hatte die Kaiserin noch die
Grabkapelle des Prinzen Ludwig von Badcn im Fasauen-
garten besucht. Der Abend sah Wilhelm II. nebst Gemahlin,
Großherzog und Großherzogin nach einem kurzen Jmbiß
wieder im Theatcr, wo des Kaisers Lieblingsoper
„Der Wasserträger" von Cherubini gegeben wurde.
Die Vorstellung nahm einen glatten Verlauf, sämt-
liche Mitwirkenden boten vorzügliche Leistungen und auch
die prächtige Ausstattung und Jnszenierung, nament-
lich die deS Vorspiels, verfehlte ihre Wirkung aus das zahl-
reich erschienene, festtäglich gekleidete Publikum nicht. Die
temperamentvolle Leitung des Herrn Balling hielt das Jn-
teresse an diesem Werke bis zum Schlusse wach. Der Kaiser,
Lum y. Mai lyos.
Ts geht ein Alingen durch die Lande
^ rein und hell, wie nie zuvor,
^ dringt in alle deutsche Herzen,
öffnet sedes Hauses Tor!
Es braust ein Aturmwind aus den Tiefen,
jubelt froh aus lichten Höh'n,
^^Ur Losung will cs bringen:
»Dein lVerk, mein 5chiller, muß besteh'n!"
Nag auch der flücht'gen Zeiten Drängen
^ald Dich erheben, bald Dich schmäh'n,
^as Du, Unsterblicher, geschaffen,
^ann, darf und soll nicht untergeh'n!
was Du erstrcbt in kurzem Leben,
Don Dlenschennot und öorg' bedrückt,
Ist unvergänglich Trbteil worden,
Wen noch das Zdeal beglückt!
Das Zdeal des Wahren, öchönen,
In das die N)elt flch dann versenkt,
Wenn unser Denken, unser Fühlen
Hach aufwärts zu den öternen drängt!
Tin b)eld des Geist's, ein Held des Lebens! —
5o steht Dein Bild sür alle Zeit!
Drum tön's aus dankerfüllten Herzen
Bis in die fernfte Twigkeit:
„Tin Friedrich Achiller konnt' wohl sterben,
was irdisch an ihm war, vergeh'n! —
Doch was er sprach und sang, muß leben
Und zeuaen von der Blenscbheit Häh'n!"
__ F. T.
Schillerfeier im Stadttheater.
Heidelberg, S. Mai.
Preiscnd in vicl schönen Reden hat man in diesen Tagen
den 'Genius Schillers bcschworen; man hat den Charakter, die
Energie, die mächtige Phantasie, den philosophischen Erkenntnis-
trieb, ücn Seelenadel des Dahingeschiedenen gerühmt und das
köstliche Ergebnis seines Schaffcns üem Volke in Worten ge-
zeigt und ldeutlich gemacht; aber den unmittelbaren und wahren
Einblick in Schiller gewinnt man doch erst, wenn man ihn selbst
sprechen hört, wenn man ihn direkt zu uns reden läßt. Des-
halb haben viele deutsche Bühnen in diesen Wochen die Ge-
samtheit oder einen grötzeren Tetl seiner dramatischen Werke
aufgeführt; sie haben das als eine Pflicht und eine Ehren-
schuld betrachtet. Auch unsere Bühne wird, wie wir hoffen,
in der kommenden Spielzeit im nächsten Herbst nachholen, was
sie während der Ferienruhe des Sommers wohl oder übel unter-
laffen nrutzte.
Aber es sollte die Jeier des 100. Todestages Schillers nicht
vorübergehen, ohne datz auch das Heidelberger Publikum von
dem Hauch, der durch Schtllers dramattsche Werke geht, berührt
und tn seinem Gemüt entzündet würde, ohne datz das Fener
setnes Geistes auch die Hetdelberger bestrahlt und erwärmt
hätte. Ein Komitee aus Bürgern aller Stände, unterstützt,
durch die freudige Mitarbeit aller derjenigen Damen und
Herren, an die der Appell crging, hat sich der Sache angenorn-
men und zu der Gedenkfeier eine Aufführung von „W allen -
steins Lager" vorbereitet. Man hat cine Anzahl von
Wiederholungen der Vorstellung in Aussicht genommen und die
Mehrzahl der Rollen darum doppelt besetzt.
Gestern Abend nun ging die erste öffentliche Aufführung
vor vollbcsetztem Hause von statten, nachdem durch die General-
proben schon bekannt geworden wär, datz man seine Erwartun-
gen hochspanncn dürfe und nicht nötig habe, den vielberufenen
guten Willen für die Tat zu nehmen.
Auch anderwärts hat man das Gedächtnis Schillers mit
Dilettanten-Aufführung gu ehren gesucht; so z. B. in Berlin
mit einer Aufführung der „Räuber" durch Stuidierende. Wer
indeffen in den Berichten zwischen den Zeilen zu lesen vermag,
der mußte sich sagcn, datz da Vieles mit dem Mantel der Liebe
bedeckt worden ist.
Hier war dies nicht nötig. Wir hatten hier gestern eine
Aufführung, die fich in jeder Hinsicht sehen lassen konnte. Eine
ungemein sorgfältige und cnergische Regie, untcrstützt durch
die innere Anteilnahme und eisrige Bereitwilligkeit !^r Mtt-
wirkenden brachte es fertig, ein Lagerbild hinzuzaubern, an
dcm man seine helle Freude haben konnte. Was dic Regisseure,
dic Herren Konsul Kellner und Dr. Pfeiffer da ge-
leistet haben, erweckt die größte Bewunderung und verdient volle
Anerkennung. Wie tot erscheinen oft die Massen-
szenen selbst auf größeren Bühnen. Hier war alles
Leben, alles lebendiger Flntz, ein wohlabgestimmtcr Zu-
sammenklang von Regnng und Bewegung. Man hörte im
Publikum das Wort „Meiningen" und in der Tat, was die le-
bendige Durcharbeitung der Masse anbetrifft, so war die Lager-