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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Rosenberg, Jakob: Jacob van Ruisdaels Flachlandschaften
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0089

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fährt nun ebenfalls die Umformung ins Offene
und Weiträumige. — Ein schönes Beispiel dafür
ist die Landschaft der Sammlung Johnson, auch
die der Sammlung Cook in Richmond, wo bei
sinkender, umnebelter Sonne ein zinnfarbenes Grau
die kalte Winterstimmung veranschaulicht. — Das
kleine hochformatige Bildchen des Städelschen In-
stituts zeigt in origineller Fassung den Blick auf
Haarlem, der sich in der Bildmitte zwischen seit-
lich stehenden Bäumen auftut. Ein Laternenpfahl
gibt die Größenorientierung für die scharfe Ver-
kürzung der ganz niedriggehaltenen Ebene bis zur
St. Bavokirche am Horizont. Hier ist das Grau des
hohen Himmels mit den für die Spätzeit charak-
teristischen kalten bunten Tönen durchsetzt. Sie
scheinen auf den dünnen Bäumchen und der
weißen Schneefläche wieder. Das Bild ist eines
der spätesten unter den Winterlandschaften.

Wie das flachlandschaftliche Sehen jetzt Ruis-
daels gesamte Produktion beherrscht, zeigen am
eigentümlichsten die Gebirgsbilder und Wasserfälle
dieser Zeit, von denen es noch eine stattliche Zahl
aus den siebziger Jahren gibt, offenbar weil sie
eine vom Publikum begehrte Darstellung blieben.

Der große breitformatige Wasserfall der Wallace
Collection und der ähnliche ehemals in der Sammlung
C. D. Borden, New York (S. <Si), zeigen, wie der
Höhendrang in Ruisdaels früheren Hügelforma-
tionen einem beruhigenden Weitengefühl gewichen
ist. Der Umriß des Hügelzuges ist beinahe bis zur
Horizontale geglättet. Der Wasserfall kommt aus
einer weiten, glatten Fläche. Milde und ernst,
wie die wundervoll großen Linienführungen dieser
Kompositionen, mutet auch die Farbe an. Ein ge-
dämpftes Graubraun ist tonangebend. — Noch
offener und stärker von dem jetzigen flachland-
schaftlichen Ideal bestimmt ist die unter dem Na-
men „Coup de soleil" bekannte bergige Fluß-
landschaft des Louvre, die im Motiv von Rem-
brandts Kasseler Landschaft mit Ruinen auf dem
Berge angeregt ist. Ruisdaels Umsetzung ins Nüch-
terne, Kühle und Weiträumige zeigt mehr Ver-
wandtschaft mit den luftigen, bläulich grauen Land-
schaften Wouwermans als mit dem geheimnisvoll

stimmungsschweren Helldunkel des Rembrandt-
schen Vorbildes.

Nichts ließ sich schwerer mit dem Charakter
flachlandschaftlicher Weite verbinden als derWasser-
fall im Hochformat. Das Ansteigende des Geländes
hindert die Weitenentfaltung, und diese nimmt
wiederum der Höhe ihre Wirkung, so daß eine
Zwitterform zwischen Gebirgs- und Ebenenein-
druck die Folge ist. Uberhaupt zeigen sich in
dieser am wenigsten ursprünglichen Landschafts-
gattung Ruisdaels zuerst Verfallserscheinungen.
Der Aufbau bekommt etwas Künstliches, die For-
men werden überzierlich, dünn und gehäuft.

Auch das Waldbild erfährt jetzt eine Umfor-
mung in dieser Richtung, doch scheint hier noch
einmal unter der veränderten stilistischen Einstel-
lung ein neuer Natureindruck entstanden zu sein,
der zu einer besonderen malerischen Intimität in
der Wiedergabe der Waldlandschaft führt. — Das
Waldbild, 1926 bei van Diemen, Berlin, jetzt in
amerikanischem Privatbesitz, gibt mit feinstem
malerischen Empfinden das Luftig-Vibrierende des
Laubes. Man blickt in einen Waldweg hinein,
vor dem ein schlanker Baum höher als die übrigen
aufragt. Es ist das Mittel zu gesteigerter Fern-
wirkung, indem seine Größe auf die winzigen
Figuren vor dem Walddurchgang bezogen ist. Er
ist aber auch das Mittel zu einer malerisch lockeren,
luftigen Verbindung der Waldlandschaft mit der
Höhe des Himmels. — Die ganze Entwicklung
von der hochbarocken, gedrungenen Formenplastik
am Anfang der fünfziger Jahre bis zu diesem zier-
lich luftigen und malerisch auflösenden Stil zeigt
ein Rückblick von jenem Baum auf die große
Eiche des Braunschweiger Bildes mit Landstraße
links.

Weniger luftig bewegt und kühler im Ton, mit
schönen bläulichen Reflexen im Wasser und im
Gelände, ist der Waldrand an einem Weiher im
Museum in Hannover. In der poesievollen Stille
der Komposition und der duftigen Feinheit der
malerischen Durchführung mutet dieses Bild wie
eine Vorahnung der „paysage intime" des neun-
zehnten Jahrhunderts an.

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