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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 2
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Jedlicka, Gotthard: Lautrecs Tod
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0091

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HENRI DE TOULOUSE-LAUTREC, DER ARZT Dr. PEAN.
ZEICHNUNG

gibt er das auf. Und einmal sagt er unvermittelt
zu seiner Mutter: „Du, nun gehöre ich dir. Ich
weiß, daß ich sterben muß. Vor einigen Wochen
noch habe ich es nicht sagen mögen, daß es ans
Sterben geht. Ich habe Angst gehabt, dich damit
zu sehr zu erschrecken. Aber du hast es nun selbst
eingesehen. Und so ist alles in Ordnung." Und
mit einem Lächeln fügt er hinzu: „Wie gut, daß
du mir endlich soviel Tee machen kannst, wie
du nur willst."

Er verläßt sein Zimmer nur selten. Einige Male
fährt man ihn im Wagen ein wenig umher. Tage-
lang spricht er kein Wort. Hin und wieder nimmt
er sich dann zusammen. Wenn er etwas sagt, tut
er es, um mit seiner Mutter oder mit dem Freunde
zu scherzen. Er redet mit ihr, um die Erinnerung
an seine Jugend in ihr lebendig werden zu lassen.
Er erzählt ihr von den vielen Verwandten, von
den Unglücksfällen in seinem Leben. Er sagt zu
ihr, wie er doch schon in jungen Jahren gezeichnet
habe und daß er ein großer Maler sein müßte,

wenn man nach solchen Dingen urteilen dürfte,
und doch wieder nicht so bedeutend wie Prince-
teau, der als kleiner Junge nie ohne Bleistift im
Mund habe einschlafen können... Und auf solche
Art sucht er sie heiter zu stimmen.

Er wird immer schweigsamer. Innen spielt sich
ein harter Kampf ab. Sein dunkles Haar ist in den
letzten Wochen ganz grau geworden. Man bittet
ihn, doch zu essen. Er schüttelt müde den Kopf
und antwortet: „Ach, habe ich nicht schon ge-
gessen?" Und wenn man weiter auf ihn einredet,
wird er heftig und sagt mit einem Ton, der alle
Einwände ausschließt: „Ich habe gegessen!"

Wenige Tage vor dem Sterben holt man den
Geistlichen der kleinen Gemeinde. Es ist ein junger
Priester, den der Kranke noch nie gesehen hat.
Lautrec betrachtet ihn zuerst sehr erstaunt und ent-
schuldigt sich dann (da er im Hemd ist) mit lang-
samer Stimme und mit gewinnender Höflichkeit:
„Hochwürden, ich bin entzückt, Sie kennen lernen
zu dürfen, und ich bitte Sie sehr, es mir nicht
nachzutragen, daß es in einer so unanständigen
Form geschieht. Aber Sie werden begreifen, daß
ich Sie lieber heute sehe als später, wenn Sie mit
ihrer kleinen Glocke erscheinen werden."

Die letzten Tage erträgt er wie eine wider-
wärtige Last. Der Arzt hat ihm das Malen verboten.
Er lehnt sich dagegen auf. Aber die Mutter hält
trotz seiner Bitten an den ärztlichen Vorschriften
fest. Lautrec empfängt ihn das nächste Mal mit
den bitteren Worten: „Sie sind ein Arzt? Was
für ein guter Arzt! Wie klug ist es, einem Ster-
benden seine letzte Freude verbieten zu wollen!"

Während dieser Wochen ist der Graf Alphonse
de Toulouse-Lautrec ein einziges Mal an das Bett
des Sohnes gekommen. Er ist der Geburt fern ge-
blieben; es scheint, er wolle auch dem Tode fern
sein. Er vermeidet das Schloß und sagt, er habe
zu viel auf seinen Gütern zu tun. Wie der Tod
ganz nahe ist, erscheint er dennoch. Er tut es mit
einer Reihe von Plänen. Zuerst will er dem Ster-
benden den Bart abschneiden, und wie sich alles
darüber entsetzt, erklärt er, daß die Araber in
solchen Dingen so handeln würden.

Die Septembertage sind warm. Die Fenster des
Zimmers stehen weit offen. Um das Bett des
Kranken summen Fliegen und belästigen ihn. Der
Vater bemerkt das, reißt von seinen Strümpfen
ein Gummiband ab und jagt nun den Fliegen

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