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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 2
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Scheffler, Karl: Dächerkrieg und Universum
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0105

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GROSSES BUREAU DOS D'ÄNE, LOUIS XV.

AUSGESTELLT BEI HERRMANN (1ERSON BERLIN

die schon 1926 und 1927 gebaut worden ist; und zwischen
den Bauformen dort und hier besteht nun ein Gegensatz,
der als grundsätzlich empfunden wird. Die Häuser des
älteren Komplexes, woran Architekten wie Häring, Salvis-
berg und Taut mitgearbeitet haben, sind Musterbeispiele
einer ganz modernen Bautendenz; sie halten streng die Bau-
fluchtlinie, sind durchaus kubisch, haben ein flaches Dach
und sind farbig angestrichen. Die Häuser der Gagfah hin-
gegen, woran Architekten wie Tessenow und Poelzig be-
teiligt sind, wurden mehr im Sinne der Tradition gebaut.
Sie haben spitze Dächer, Giebel, einfarbigen Putz und sprin-
gen vor oder treten zurück. Die Gegenüberstellung sieht
ein wenig wie Absicht aus; es scheint, als hätte die Gagfah
oder eine Macht, die hinter ihr steht, gegen das schon
Vorhandene protestieren wollen.

Die Folge ist, daß Beschuldigungen herüber und hinüber
fliegen und daß der Streit Parteicharakter annimmt. Die
Architekten der Gagfah werden einer unklaren Romantik
und einer tendenzvollen Rückschrittlichkeit geziehen; die
andern werden beschuldigt, vor lauter Dogmatik das Be-
dürfnis zu vernachlässigen. In „Guillivers Reisen" bricht
unter den Zwergen ein Krieg aus, weil die Völker sich nicht
einigen können, ob das Ei an der spitzen oder an der brei-
ten Seite aufgeklopft werden müsse. So ähnlich streitet man
hier, ob das Dach flach oder spitz sein soll.

Mit dem Dach steht es, nach einer hübschen Formulierung
Tessenows, nun so: Wenn heute ein Architekt ein hohes,
spitzes, breit bergendes Dach baut, so gilt das als ein Wahr-
zeichen deutschnationaler Gesinnung. Wenn er das Dach
abflacht, so entsteht etwas wie ein demokratisches Haus;
macht er das Dach aber ganz platt, so bekundet er damit
radikal kommunistische Gesinnung. Das Dach wird zum
Ausdruck politischer Einstellung-

Ein gutes Dach ist nicht leicht zu bauen. Es ist recht
eigentlich der Prüfstein für die Summe von Begabung, Kön-
nen und Erfahrung, die der Architekt besitzt. Darum ist es
sehr bequem, darauf zu verzichten und aus dem Verzicht
einen Grundsatz zu machen. Gesetze gibt es hier aber
überhaupt nicht. Einmal kann ein plattes Dach gut sein,
ein andermal ein spitzes. Der gute Architekt muß beide
Formen, je nach Bedürfnis, anwenden können. Die wahre
Modernität liegt woanders. Auch ist das platte Dach kei-
neswegs etwas Neues. Wenn man Berlin von oben ansieht,
wird man finden, daß die Hälfte aller Häuser platte (und
trotzdem sehr altmodische) Dächer aufweisen. Es ist also
ebenso trivial von vornherein das flache Dach zu wollen,
wie das spitze Dach zur Bedingung zu machen — was die
Gagfah getan hat.

In Zehlendorf, wie überall, ist das Programm herzlich
gleichgültig. Keine der beiden Baugruppen will gefallen.

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