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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Basler, Adolphe: Völkerbund der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0179

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der mit seinem ebenso lebendigen wie verderbten
Zeichenstift im Verlauf seines Herumstrolchens
durch Florida, Cuba und Tunis in ihrer Art einzige
Eindrücke festgehalten hat, um in den Dirnenlokalen
von Marseille, Paris oder Budapest zu landen. Ein
seltsamer Mensch, dieser Pascin, stinkend von
Talent und Geist. Er erinnert in mancher Hinsicht
an Lautrec, Constantin, Guys und auch an Row-
landson, von dem er einen angeborenen Sinn für
eine durch Humor und schonungslose Beobachtung
fesselnde Illustration geerbt zu haben scheint. Als
Maler eher oberflächlich, verfügt er in seinen mit
geizigem Pinsel leicht hingewischten Akten kleiner
Mädchen über alles zigeunerhafte Blendwerk, durch
das er ein nach halbwegs verderbten Sensationen
lechzendes Publikum bezaubert. Aber er ist ein
Meister in der Zeichnung. Seine weiblichen Akte
haben zugleich eine Schönheit und Sicherheit der
Form und jugendliche Frische, die ebenso wie
seine schwunghaften Zeichnungen und nervösen
Aquarelle hinreißen, in denen er mit noch mehr
natürlichem Gefühl als in seinen Bildern die Baude-
lairesche Fassung des Malers des modernen Lebens
gegenwärtig macht. Wieviel schlüpfrige Bosheit
in den Gestalten seiner Badenden am Strande von
New York oder seiner dicken Judenweiber aus
Tunis! Wieviel mitleidsvoller Humor in seinen
kleinen Negern aus Lusitania, aber auch welche
Komik in seinen närrischen Predigern und deren
kubanischen Schäfchen! Als ich Pascin eines Tages
auf dem Broadway traf, fragte ich ihn: „Was
machen Sie in diesem trübsinnigen New York?"
Seine Antwort darauf: „Schauen Sie, wie amüsant!
Sehen Sie mir diesen kleinen, so eleganten Neger-
zuhälter an, der sich heute schon zum dritten
Male die Stiefel bei dem Italiener putzen läßt. . .
Und diese junge Negerin da, vor der Bar, komisch
in ihrer hurenhaften Koketterie, wie?" Gewiß,
dieser blühende und lüsterne Exotismus hat in
Pascin seinen glänzendsten Vertreter gefunden.
Welch geschaffener Illustrator für „Paul und Vir-
ginie" oder „Moll Flanders"!

Der Ruhm" Pascins gleicht dem des so früh
verstorbenen Modiglianio. Dieser Jude aus Livorno
war auch sehr rassig. Wer auf Montparnasse
hätte nicht sein von ihm gemaltes oder gezeich-
netes Porträt? Wer saß nicht mindestens einmal
in seinem Leben mit ihm bei einem Glase Wein?
Sprechen Sie von Modiglianio zu wem Sie wollen

unter Künstlern und Kunstfreunden, die während
des Krieges die Rotonde überschwemmten! Es
war merkwürdig, zu sehen, wie jetzt die ausländi-
schen Maler in Paris plötzlich ihre Bilder ver-
kauften, was vor dem Kriege selten der Fall war.
Da kam ein Pole auf die Idee, auf Montparnasse
mit Bildern hausieren zu gehen. Es war ein ganz
ungewohnter Anblick, diesen Polen, seine Frau
und noch andere Polen zu beobachten, wie sie
Bilder zu schon bekannten Kunstliebhabern oder
zu Leuten brachten, die sie zu Kunstliebhabern
machen wollten. Mitten im Kriege stürzte sich
plötzlich alle Welt darauf, junge Kunst zu kaufen.
Das war ein gefundenes Fressen für alle die
Hungerleider, welche die kleinen Pleitelokale nicht
mehr ernährten. Modiglianio zog aus diesen Ver-
hältnissen Nutzen und fand zahlreiche Bewunderer.
Beeinflußt von der Negerplastik, kam er Schritt
für Schritt zu einem Frauentyp mit in die Länge
gezogenen Linien, zu geschmackvoll übertriebenen
Proportionen. Das Oval des Kopfes, die einförmige
geometrische Nase, von den nordafrikanischen
Götzenbildern übernommen, gaben seinen Porträts
sofort ein sehr pikantes Aussehen. Als vollkommener
Zeichner, sogar mehr Zeichner als Maler, betonte
er die weichen Konturen, verdeckte er die Ein-
tönigkeit seiner allzu symmetrischen Formen durch
sehr raffinierte Deformationen und machte sie, in-
dem er sie mit sehr ansprechendem Kolorit höhte,
außerordentlich reizvoll. Ein Gemisch aus Anmut
und Befremdlichem, eine „Morbidezza", gemildert
durch treffenden Ausdruck, ein weicher Charme
gehen von allen diesen Gestalten aus, männlichen
wie weiblichen, für die er ein unveränderliches
Schema ersonnen hat. Seine Kunst zeigt sich an
der Grenze eines reizvollen Manierismus und glänzt
durch ihren perversen Asthetismus.

Dieser Künstler blieb nie untätig und fand
immer ein Publikum, das ihm Beifall spendete.
Eifersüchtig auf Bewunderung, war es ihm uner-
träglich, unbemerkt zu bleiben. Seine sympathische
Haltung war jedoch nicht frei von einer gewissen
Pose. Er hatte etwas von einem Schauspieler an
sich. Sein mindestens so äußerliches wie echtes
Betrunkensein entriß Picasso eines Tages folgende
heimtückische Bemerkung: „Sehr seltsam, man sieht
Modiglianio niemals auf dem Boulevard Saint Denis
betrunken, sondern immer an der Ecke Boulevard
Montparnasse und — Raspail!"

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