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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 8
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0356

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holmer St. Jürgen-Gruppe in Lübeck, und empfiehlt Galerien
von Kopien, indem er scheinbar ganz vergißt, daß es in
aller Welt seit langer Zeit Abgußsammlungen für Studien-
zwecke gibt.

Nichts peinlicher, als wenn solche Abgußsammlungen
mit Sammlungen von Originalen gemischt werden, wie es
einmal in Oslo in der Abteilung italienischer Renaissance-
Kunst versucht worden ist. Nichts verabscheuungswürdiger,
als wenn ein großes Kunstwerk wie der Bamberger Reiter
von einer Metallwarenfabrik in fünf verschiedenen Großen
als Bronzeguß auf den Markt gebracht wird.

Es mag Leute geben, die sich darüber freuen, daß nun
der Bamberger Reiter, wie einst der Colleoni — dessen
Original immerhin aus Bronze ist —, in tausend Bürger-
häusern stehen wird, wie Deri zufrieden ist, daß angeblich
6000 falsche Corots in Amerika ebenso vielen Menschen
eine beinahe echte „Corot-Freude" bereiten. Wir wollen
diesen Leuten ihr Vergnügen nicht stören, so lange sie unserer
Sphäre fern bleiben. Aber die Denkweise, die Deri vertritt,
schließt eine Gefahr für die Kunst in sich. Die Achtung
vor dem Original geht verloren, und dieses wird in seiner
Existenz bedroht. Es gibt heute nicht wenige Architekten, die
ihren Straßendurchbrüchen jedes Baudenkmal der Vergangen-
heit opfern würden. Sie erklären, man könne es vor dem
Abbruch photographieren, man könne es sogar anderswo
wieder aufbauen. Wie solche neu-alte, solche gefälschte
Baudenkmäler aussehen, das wissen wir aus mehr als einer
schlimmen Erfahrung. Für das Derische Kunsterlebnis mögen
sie genügen. Uns anderen sind Fälschungen ein Greuel, wie
alle schlechte Kunst, denn die Reinheit des Grundgefühls
ist die Vorbedingung der echten künstlerischen Leistung.

BAYRISCHE KUNSTPOLITIK
T)ayern hat im Museum von Brooklyn eine Kunstausstellung

veransteltet, eine Ausstellung mit Werken von Stuck,
Zügel, Habermann, Diez, Hummel usw. Der Erfolg ist so,
wie man es vorhersehen konnte. Die New York Evening
Post nennt die Ausstellung „eine Erinnerung an das Ende
des vergangenen Jahrhunderts". Die New York American
schreibt: „München ist offenbar außerhalb des künstlerischen
Lebens Deutschlands geblieben." Im World steht: „Die
Bayern erbringen den Beweis, daß München rückständig
bleibt. Das Leben hat dort noch nicht wieder seine Schöpfer-
kraft gefunden. Die Ausstellung ist mehr ein Zeichen von
Hartnäckigkeit als von Begeisterung. Sie zeigt gewisse Fähig-
keiten, aber sie ist langweilig."

War es nötig, den Partikularismus so weit zu treiben,
daß die Blamage im Ausland öffentlich bescheinigt werden
mußte? Es ist noch immer guter Brauch gewesen, Familien-
Zwistigkeiten zu Hause auszutragen. In Deutschland mag
München seinen Ruf als Kunststadt verteidigen. Es tut es
zur Zeit, indem es tüchtige Künstler auf die verwaisten
Posten seiner Akademie zu berufen versucht. Das ist sein
gutes Recht. Nach außen aber sollte es nur eine deutsche
Kunst geben. Jede Auslandsausstellung sollte sich der Ver-
antwortung bewußt sein, die sie übernimmt. Man weiß in
Amerika scheinbar besser als in München, was deutsche Kunst
ist. In München aber sollte man aus diesem Mißerfolge

lernen und die bayrischen Belange nicht über die Grenzen
hinaustragen, wo dieses fatale Wort nicht verstanden wird.

Man sollte lernen. Aber man scheint es bisher nicht ge-
tan zu haben. Denn nun ist auch Stockholm mit einer bay-
rischen Kunstausstellung beglückt worden. 133 graphische
Blätter werden im Nationalmuseum gezeigt, Blätter von Beier,
Burkart, Caspar, Doli, Geibel, Graf, Graf-Pfaff, Gott, Haider,
Heise, Heubner, Jutz, Lehner, Marxmüller, Nückel, Pietzsch,
Pohle, Rausch, Scheller, Schiestl, Schinnerer, Schultheiß,
Schönleber, Thiel, Troendle, Trumm, Trumm-Witzel, Unold
und Winkler. Daneben war einiges von Beckmann, Grosz,
Heckel, Kokoschka, Kubin, Lehmbruck, Marc, Meidner, Nolde
und Pechstein zugelassen. Es gehört nicht viel Phantasie
dazu, sich eine Vorstellung zu machen, und man kann ge-
wiß sein, daß dem Ansehen deutscher Kunst im Ausland so
mehr geschadet als genützt wird.

DER LIÖNARDO VON CANSAS CITY
r7u einer blutigen Kulturparodie wächst sich ein Prozeß
*—* in Amerika aus, der um eine Echtheitsfrage geführt wird.
Der Prozeß ist angestrengt worden von Mrs. Hahn gegen
Sir Joseph Duveen, dem bekannten New Yorker Kunst-
händler.

Mrs. Hahn besitzt ein ihrer Familie angeblich seit mehr
als hundert Jahren gehörendes Bild, das der „Belle Ferronniere"
des Louvre, die von den einen Lionardo da Vinci, von an-
deren dem Boltraffio zugeschrieben wird, auffallend gleicht.
Sie wollte dieses Bild durch den Kunsthändler Hug in Cansas
City an das Museum von Cansas City für 250000 Dollars
verkaufen. Der Verkauf kam nicht zustande, nach Auf-
fassung der Klägerin, weil Duveen das Bild für eine Kopie
erklärt hatte.

Duveen hatte sich nur privat geäußert, ohne das Bild
in Cansas City selbst zu kennen. Als er das Bild dann
gesehen hatte, gab er Mrs. Hahn eine ausführliche schrift-
liche Begründung seiner Auffassung.

Mrs. Hahn verklagt nun Duveen auf Grund eines Ge-
setzes, das in Amerika „Slander of titel" oder „Slander of
property" genannt wird. Sie forderte eine Entschädigung
von 500000 Dollars.

Die Jury, vor der die Verhandlungen geführt werden,
besteht aus zwölf Geschworenen, von denen einer ein Buch-
halter, ein anderer Hemdenschneider, ein dritter Tapezierer,
ein vierter Agent, ein fünfter Rechnungsführer ist, usw.

Nach amerikanischem Recht muß Duveen sich nun als
Zeuge gegen sich selbst vernehmen lassen, er ist gezwungen,
die schulmeisterlichen, oft beleidigenden Fragen des gegne-
rischen Rechtsanwalts Miller lediglich mit Ja oder Nein zu
beantworten und so den zwölf „guten und getreuen Männern"
den Beweis zu erbringen, daß der „Lionardo von Cansas City"
eine Kopie ist.

Als Sachverständiger für Mrs. Hahn wurde ein russischer
Maler Chernoff vernommen. Er setzte der Jury auseinander,
daß primitive Maler solche seien, die „sehr viele Eier zu
ihrer Farbe verwenden, aber sehr wenig Perspektive für
ihre Malerei". Auch zugunsten der Klägerin lautete das
Gutachten eines „offiziellen Kunstsachverständigen der fran-
zösischen Gerichtshöfe bei öffentlichen Versteigerungen und

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