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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 9
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Purrmann, Hans: Derain: zur Ausstellung in der Galerie A. Flechtheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0388

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Jahre jüngeren Derain in Paris und auch auf dem Lande in
Freundschaft zusammen, und in Collioure widmeten sie sich
dem Studium dieser schönen südfranzösischen Natur gemein-
sam. Es scheint mir gewiß, daß Derain Matisse zu der Er-
kenntnis verholfen hat, waghalsig mit den reinsten Farben
den Natureindruck: wiederzugeben, in reinen Farben sich
nähernde und ferner liegende Kontraste auf einer Leinwand
in einer Orchestration zu vereinigen, daß selbst ein Ocker-
gelb schon schmutzig erschien und ein lokalfarben-grauer

zusammenzuziehen und die Formen mächtiger zu gestalten,
als es die etwas pedantischen Ausläufer des großen Seurat
taten. Derains Rolle mag eine Anekdote illustrieren. Er
kam eines Tages zu Matisse, forderte diesen auf, mit ihm
sich der Aufgabe zu unterziehen, eine nackte Frau in reiner
blauer Farbe zu malen, die Bilder sollten jedoch erst in
fertigem Zustande gegenseitig gezeigt werden. Die Arbeiten,
nebeneinandergestellt, veranlaßten Derain, mit einem Messer
sein Bild in Stücke zu zerschneiden, und Matisses Bild den

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ANDRE DERAIN, DIE GROSSE FICHTE. 1922

SAMMLUNG WILLY STRECKER, WIESBADEN. MIT ERLAUBNIS DER D. D. A.

Weg oder ein grüner Baum unter Umständen seine Repräsen-
tation im Bilde in reinstem roten Zinnober fand. „Die pure
Farbe, das kolorierte Volumen" war das Losungswort.

Gewiß, auch Matisse war darauf vorbereitet, hatte den letz-
ten romantischen Asphalt längst schon verbrannt, ja die chan-
gierende Farbe der Impressionisten abgelegt, die ihm die
Formen ertrinken ließ, und er suchte nach einer größeren,
wuchtigeren Zeichnung. Er war auch bereits bei den Me-
thoden der Neoimpressionisten angelangt, aber die Begegnung
mit Derain hat wohl den Anlaß gegeben, die Farbe breiter

vollen Sieg zuzusprechen (als „femme bleue" heute genugsam
bekannt). Kann eine Begebenheit wie diese den noblen
Künstler besser illustrieren? Er verstand wohl damals seine
Ideen nicht voll auszunützen, er konnte ihnen nicht den
letzten Lebensnerv zuführen. Ich könnte Derain noch resi-
gnierter zeigen, und doch wurde Derain weiterhin ein Ord-
ner, an dem sich eine ins Wanken geratene Zeit aufrichten
konnte. Ja, man muß verstehen, daß Frankreich nach dem
Krieg in der fieberhaften Phase neu erstehender Ordnung
in eine außerordentliche Schätzung dieses Künstlers verfiel.

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