ANDRE DERAIN, MADCHENKOPF. PASTELL. 1919
SAMMLUNG P. V. MENDELSSOHN-BARTIIOLDY. MIT ERLAUBNIS DER D. D. A
AUSGESTELLT IN DER GALERIE FLECIITHEIM, BERLIN
Frankreich bereitete ihm diesen Erfolg, weil es Zutrauen
zu einem Künstler hatte, dessen Gewissenhaftigkeit außer
Frage steht, weil Derain über die prinzipiellen Fragen, aus
welchem Element ein Bild zu bestehen hat, am meisten
nachgedacht hat. Man sah in Derains Arbeit eine Mahnung,
nicht in Unordnung und Auflösung zu verfallen und bei
der Gesetzmäßigkeit der Malerei zu bleiben.
Derain, der sich von Matisse abgewandt hatte, weil er
dessen Weg als gefährlich empfand, stellte sich in den
Schatten Cezannes, studierte diesen bis zur Selbstaufgabe,
in einer Zeit, wo Ernsthaftigkeit und Maß nötig waren.
Er hat eine Reaktion gegen das zarte Sentiment einer etwas
erdgebundenen Poesie der Impressionisten herbeigeführt
und den Fauvismus eingeleitet. Er teilte das Licht in Flächen
auf, als der Kubismus sich ansagte, und er hat in dem
Augenblick Ingres' Hand ergriffen, gab ihm das Wort, als die-
ser am stärksten gehört werden konnte. Derain schuf dann
einen Archaismus, er suchte naive
Einfachheit in den Prinzipien der
Negerkunst und der Primitiven früher
Epochen. Er hat seine Zeit vorwärts
gerückt, hat bei allen Richtungen
Pate gestanden, er, der alles sah,
alles las, alles fühlte. Ist ihm ein
Vorwurf daraus zu machen? Er fand
den Weg mit der Leichtigkeit und
Natürlichkeit des Franzosen, dem das
Leben selbst alles krönt und der dem
Reiz der Natur nicht die Empfin-
dung versagt.
Diese Aufgabe, Frankreich den
Ordnungsruf zu erteilen, konnte da-
mals nicht Picasso zufallen: die Dia-
bolik dieses Spaniers störte, seine
Sentimentalität blieb unglaubwürdig,
die harmonische Eindringlichkeit sei-
ner Arbeit wurde noch nicht verstan-
den, gab andern Malern Anlaß zu
schlimmer Entartung, seine Extra-
vaganz hielt man fälschlich für ge-
fahrvoll. Aber auch Matisse erregte
zu sehr die Gemüter, man hatte den
Trompetenstoß noch zu laut in den
Ohren, mit dem er eine Revolution
gemacht hatte, seine lyrischen Odalis-
ken waren noch nicht entstanden und
die Annäherung an die Renoirsche Bild-
idee, wahrscheinlich auch von Derain
signalisiert, war noch nicht vollzogen.
All dies Geschehen liegt hinter den
Franzosen, ist für sie schon fast histo-
risch geworden; und doch will es mir
noch rechtzeitig für uns Deutsche er-
scheinen, uns der ernstesten Betrach-
tung dieses erlesenen Künstlers hinzu-
geben, den uns Flechtheim neulich
in einem, deutschen Kunsthändlern
schon fremd gewordenen Idealismus
vorstellte.
Behäbig, phlegmatisch, mit Genießenum, freier Stirn, vor-
nehmer Zurückhaltung, in einer absolut den Maler zeigenden
Geistesverfassung, sind Derains Bilder auf eine knappe und
sehr künstlerische Formel gebracht. Der Ausdruck seiner
Köpfe vermittelt uns direkt das schöne Gefühl, mit dem sie
aufgenommen und durch seine Seele gingen. Seine Stilleben
zeigen die Ruhe, die Verhaltenheit, die Harmonie der Inte-
rieurs gotischer Dome. Und doch überrascht uns kein allzu
neuartiger Farbklang, keine seltsame Zeichnung kitzelt unsere
Nerven, wir erleben Frankreich von gestern und heute, fort-
geführt und trotz aller Anstrengungen nur wenig erneut.
Seine Lieblinge und Götter fühlen wir von ihm verstanden,
transponiert, nicht trivial ausgenützt. Wir glauben den Künst-
ler vor der Natur zu sehen, im Zwiegespräch mit Corot, mit
Cezanne, mit Renoir — fragend: Was hättet Ihr hier zu
sagen gehabt? Bringt etwas von Euren Mysterien auch
über mich!
360
SAMMLUNG P. V. MENDELSSOHN-BARTIIOLDY. MIT ERLAUBNIS DER D. D. A
AUSGESTELLT IN DER GALERIE FLECIITHEIM, BERLIN
Frankreich bereitete ihm diesen Erfolg, weil es Zutrauen
zu einem Künstler hatte, dessen Gewissenhaftigkeit außer
Frage steht, weil Derain über die prinzipiellen Fragen, aus
welchem Element ein Bild zu bestehen hat, am meisten
nachgedacht hat. Man sah in Derains Arbeit eine Mahnung,
nicht in Unordnung und Auflösung zu verfallen und bei
der Gesetzmäßigkeit der Malerei zu bleiben.
Derain, der sich von Matisse abgewandt hatte, weil er
dessen Weg als gefährlich empfand, stellte sich in den
Schatten Cezannes, studierte diesen bis zur Selbstaufgabe,
in einer Zeit, wo Ernsthaftigkeit und Maß nötig waren.
Er hat eine Reaktion gegen das zarte Sentiment einer etwas
erdgebundenen Poesie der Impressionisten herbeigeführt
und den Fauvismus eingeleitet. Er teilte das Licht in Flächen
auf, als der Kubismus sich ansagte, und er hat in dem
Augenblick Ingres' Hand ergriffen, gab ihm das Wort, als die-
ser am stärksten gehört werden konnte. Derain schuf dann
einen Archaismus, er suchte naive
Einfachheit in den Prinzipien der
Negerkunst und der Primitiven früher
Epochen. Er hat seine Zeit vorwärts
gerückt, hat bei allen Richtungen
Pate gestanden, er, der alles sah,
alles las, alles fühlte. Ist ihm ein
Vorwurf daraus zu machen? Er fand
den Weg mit der Leichtigkeit und
Natürlichkeit des Franzosen, dem das
Leben selbst alles krönt und der dem
Reiz der Natur nicht die Empfin-
dung versagt.
Diese Aufgabe, Frankreich den
Ordnungsruf zu erteilen, konnte da-
mals nicht Picasso zufallen: die Dia-
bolik dieses Spaniers störte, seine
Sentimentalität blieb unglaubwürdig,
die harmonische Eindringlichkeit sei-
ner Arbeit wurde noch nicht verstan-
den, gab andern Malern Anlaß zu
schlimmer Entartung, seine Extra-
vaganz hielt man fälschlich für ge-
fahrvoll. Aber auch Matisse erregte
zu sehr die Gemüter, man hatte den
Trompetenstoß noch zu laut in den
Ohren, mit dem er eine Revolution
gemacht hatte, seine lyrischen Odalis-
ken waren noch nicht entstanden und
die Annäherung an die Renoirsche Bild-
idee, wahrscheinlich auch von Derain
signalisiert, war noch nicht vollzogen.
All dies Geschehen liegt hinter den
Franzosen, ist für sie schon fast histo-
risch geworden; und doch will es mir
noch rechtzeitig für uns Deutsche er-
scheinen, uns der ernstesten Betrach-
tung dieses erlesenen Künstlers hinzu-
geben, den uns Flechtheim neulich
in einem, deutschen Kunsthändlern
schon fremd gewordenen Idealismus
vorstellte.
Behäbig, phlegmatisch, mit Genießenum, freier Stirn, vor-
nehmer Zurückhaltung, in einer absolut den Maler zeigenden
Geistesverfassung, sind Derains Bilder auf eine knappe und
sehr künstlerische Formel gebracht. Der Ausdruck seiner
Köpfe vermittelt uns direkt das schöne Gefühl, mit dem sie
aufgenommen und durch seine Seele gingen. Seine Stilleben
zeigen die Ruhe, die Verhaltenheit, die Harmonie der Inte-
rieurs gotischer Dome. Und doch überrascht uns kein allzu
neuartiger Farbklang, keine seltsame Zeichnung kitzelt unsere
Nerven, wir erleben Frankreich von gestern und heute, fort-
geführt und trotz aller Anstrengungen nur wenig erneut.
Seine Lieblinge und Götter fühlen wir von ihm verstanden,
transponiert, nicht trivial ausgenützt. Wir glauben den Künst-
ler vor der Natur zu sehen, im Zwiegespräch mit Corot, mit
Cezanne, mit Renoir — fragend: Was hättet Ihr hier zu
sagen gehabt? Bringt etwas von Euren Mysterien auch
über mich!
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