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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 10
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Zervos, Christian: Georges Braque
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0418

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die sich für eine wörtliche Übersetzung der Natur
einsetzen, Braque das Sujet vernachlässigt haben,
er nach seinem eigenen Geständnis einen gewissen
Lyrismus erstrebt hat, der sich vollkommen seinen
Mitteln anpaßte.

So gestalteten sich die Anfänge von Braques
Kunst, die sich inzwischen immer weiter fort-
schreitend durch die verschiedenen Phasen der
Vollendung entwickelt hat. Im Gegensatz zu Picasso,
der immer wieder in die Welt der Induktion
flüchtet, vertieft sich Braque mit stets wachsendem
Interesse in ein Leben der Sinne und des Geistes.
Er scheint den Sinn aller Dinge in der materiellen
Erscheinung der Wesen und Gegenstände zu finden,
in den unendlichen Bewegungen, die in ihnen
vibrieren, und in den Empfindungen, die sie in
uns hervorrufen. Nicht seine Stellung zur ideellen
Welt ist ihm das Wichtige — der Gegenstand
ist es, das für ihn Charakteristische und die wunder-
baren Wirkungen, die von ihm in die Seelen
strömen. Das erklärt auch die häufigen Wieder-
holungen derselben Sujets, die immer erneuten
Versuche und Verfeinerungen. Diese Bilder sind
geschlossen wie Plastiken, in jedem scheint eine
Vernunft zu walten, die die Dinge so ordnet, daß
sie ein Ganzes bilden, daß eines das andere er-
klingen läßt, eine Vernunft, die die Komposition
so anordnet, daß alle Gegenstände an ihrem rich-
tigen Platz stehen, ein feines Gefühl, das in dem
Beschauer die auserlesensten Schwingungen auslöst,
und jene sichere Empfindung für die Valeurs, die
ihm gebietet, in den Hintergrund nur gerade so viel
Licht zu setzen, wie nötig ist, damit die Gegenstände
sich voneinander abheben, und so viel Weiß zu
verwenden, wie er braucht, um die harmonische
Note zu schaffen. Dazu eine große Feinheit der

GEORGES BRAQUE, FRAUENAKT. KOHLE. 1924

SAMMMLUNG REBER, LAUSANNE

Zeichnung, eine silbrige Zartheit in den Wellen-
bewegungen des Lichts, die den Linien erst ihr Leben
geben. Und als Grundlage für alle diese Vorzüge
die Poesie, die in reichen plastischen Gaben, in
einer Meisterung des Handwerklichen und in
einer hervorragenden Behandlung des Technischen
ihren Ausdruck findet — Qualitäten, die nicht für
Braque allein gültig sind, sondern denen wir bei
allen großen französischen Malern, von den Primi-
tiven an, begegnen.

Deutsch von Margarete Maucbner.

GEORGES BRAQUE, STILLEBEN. 1928

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