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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 11
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Troendle, Hugo: Das Erbe Poussins
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0457

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Mensch, modern wie Degas, wie Cezanne. Und
das bringt ihn uns so nahe, macht ihn so an-
regend, macht ihn zum Hüter der Tradition für
die Späteren, für alle, die wirkliche Malerei er-
kennen und lieben.

Wir Deutschen haben leider keinen solchen
Hüter der Tradition, keinen solchen edlen Be-
wahrer und Überlieferer aus der Zeit unserer
höchsten Kunstblüte. Uns trennt eine unüber-
brückbare Kluft von unsern großen Malern des
Mittelalters, die handwerklichen und geistigen
Fortsetzer dieser großen Zeit fehlen uns und alles,
was bei uns zu dieser Zeit zurückwollte, erlitt
einen Zusammenbruch auf halbem Wege.

Diese Tragik, allein dazustehen, erlebte jeder
deutsche Maler seit dem Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts. Wir haben keinen Meister, in dem
sich bei uns alle finden konnten und geborgen
fühlten. Und wenn es oft so schien, so war es
bittere Enttäuschung. Wir wissen, daß Thoma
seine unglücklichsten Bilder schuf, als er in seiner
spätem Zeit Anschluß bei den altdeutschen Mei-
stern suchte, als er von seinem Lehrer Schirmer
und der Poussintradition wegging. Wir wissen,
daß der späte Böcklin im Zeichen Grünewalds
und der Altdeutschen entgleiste, und alle mit
ihm, die diesen Weg gehen wollten, alle, die aus
falsch verstandener Begeisterung für die deutschen
Gotiker in einem Kolorit
malten, das den Zusammen-
hang mit der Malerei verlor,
die alle Wahrheit, alles Sehen
verlernten und bunt, litera-
risch und leer wurden als
Maler und als Menschen.

Poussin ist in seiner Ge-
samterscheinung mehr als nur
ein großer Maler, er ist die
verkörperte Tradition, ein le-
bendiger Zusammenhang mit
der alten Kunst, ein Maler,
der zugleich ein Schöpfer und
Be wahrer ist. Darin beruht
seine ganz einzige Bedeu-
tung für die neuere Kunst.

JOACHIM RINGELNATZ, VIGNETTE. ZEICHNUNG

Poussin finden heißt in die großen Wege der
alten Malerei zurückfinden, die durch ihn nie
ganz verloren wurden.

Die ganze ideale Malereiund Plastik des neunzehn-
ten Jahrhunderts lebte von Poussin. Delacroix,Cezanne
und Maillol, Marees, Feuerbach und Böcklin grü-
ßen in ihren glücklichsten Stunden diesen Meister
und verbinden sich durch ihn der großen Tradition.

Selbst auf die Zeit unserer Romantiker hat
Poussin mit Glück eingewirkt, obgleich diese nur
ein weniges seines Werkes erfaßten, nur sein Ge-
rüst und seine Linien. Seine Farben und sein
Licht sahen sie nicht.

Jos. Ant. Koch, Preller, Fohr und Ludw. Richter
in seiner Jugend malten edle, jetzt wieder ge-
schätzte und geliebte Bilder, als sie sich Poussin
näherten, als sie von ihm erfuhren, wie ein Bild-
raum wenigstens mit Linien aufzuteilen sei. In
das vom Meister entliehene große Gerüst konnten
sie ungehindert alle ihre deutsche Lieblichkeit und
Innigkeit hineinmalen. So verloren sie nie die
Haltung und blieben immer einer großen Dar-
stellungsart verbunden.

Heute, wo die Jungen unserer Malerei wieder
bauen und wieder ein Ganzes schaffen möchten,
wo nach der großen Zeit des deutschen Im-
pressionismus wieder neue Wege gesucht werden
und wo die Malerei, nachdem sie in der direkten
Schilderung der Natur höch-
ste Ziele erreicht, wieder
mehr Natureindrücke zusam-
menfassen und übersetzen
möchte und darum um so
mehr die Tradition braucht,
kann Poussin uns wieder ein
Wegbereiter sein, ein kluger
Mittler zwischen der Natur
und dem Bilde, zwischen dem
innern Gesicht und der festen
malerischen Form.

Ein Führer zurück zu
den Meistern, zur Tradition
und zugleich hinaus in die
Natur, ins Licht und in den
Raum.

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