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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Valentin, Veit: Die Formsymbolik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0008

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Die Formsymbolik.

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Die Formsymbolik.

Formalisten — Jdealisten: Hic Welf — Hie
^Üaiblingen! So tont es aus dem Lager der Aesthe-
^ker, und beide Theile kranken damit an dem gleichen
^ebel: mit fertigem System treten sie an die Aesthetik
^ran, und diese muß sich wohl oder übel dem ihrr
vorher in dem großen philosophischen Ganzen, in der
"Encyklopädie der Philosophie", angewiesenen Platze
^uschnnegen, ohne sich unbefangen und unvoreinge-
^^nmen nicht sowohl die Frage: Was ist „schön", als
^ielmehr die Frage: Wodurch ist Etwas schön? in-
iviefern und warum ist es dieses? — vorlegen zu
iennen. Und doch ist zur unbefangenen Beantwortung
»öthig, daß die philosophische Betrachtung unmittelbar
don der Beobachtung ausgehe und erst nach Erlangung
eines Nesultates zusehe, ipwieweit dieses zu den son-
kigen Ergebnissen philosophischer Betrachtung stimmt,
lelbst auf die Gefahr hin, kein ganz passendes philoso-
hhisches Gebäude zu finden, in dessen Plan es zur
Erhöhung des Gesammteindruckes mit Vortheil eingefügt
>verden könnte, oder etwa selbst gar Anstoß zu einer
Aenderung in seinem Riß zu geben. Die Aesthetik hat
kbensogut wie andere Disciplinen das Anrecht auf eine
selbständige Behandlung. Wird sie dagegen als Neben-
Zweig einer anderen Wissenschaft behandelt, so kann es
"icht fehlen, daß die Folgen in einer einseitigen Be-
handlung sich zeigen und daß selbst das richtig Beobach-
tete einer schon im Voraus verlangten Deutung sich
lügen muß.

Von solchen Folgen vermag sich auch eine anregende
kleine Schrift Robert Vischer's *) nicht freizuhalten,
kvelche im Anschluß an die Untersuchungen seines Vaters,
bes bekannten Aesthetikers, und somit im Anschluß au
bie Hegel'sche Schule eine interessante Frage zur Be-
sprechung bringt. Mag man auch mit der Lösung des
Problems nicht einverstanden sein, namentlich aber nicht
damit, daß eine derartige Lösung einer einzelnen Frage
Zu der Bedeutung eines Schlüssels für die gesammtc
Aesthetik hinaufgeschraubt wird, so ist doch die in dem
Bersuch der Lösung liegende Anregung zu weiterer
llntersuchung dankbar anzuerkennen, und es stünde
uianchen Kritikern besser an, dem Gedankengange sorg-
fältig nachzugehen, als ihn aus vorgefaßter Partei-
stellung heraus hochmüthig abzulehnen — ein Verfahren,
Welches sich freilich nicht selten bei denjenigen findet, die
stch für die Beschützer des Palladiumö einer, wie sie
ureinen, von ihnen allein rechtmäßig besessenen Wissen-
schaft hallen.

") Ueber das optische Formgesühl. Ein Beitrag zur
Aesthetik von Robert Vischer, Dr. xlril. Stuttgart, I. O.
Galler. 1873. 8. Vllck und 49 S.

Der Verfasser geht von der durch seinen Vater
aufgestellten These aus, daß „die ästhetische Wirknng
aller anorganischen Erscheinung, auch des ersten Orga-
nischen, der Pflanze, also des ganzen Landschaftsgebietes
aus eineni ahnenden Leihen, einem unbewnßten Unter-
legen von Seelenstimmungen" entsteht (Vorwort, III).
Diesen Begriff, „das innige Jneinsfühlen von Bild und
Inhalt" bezeichnet Fr. Vischer als „Formsymbolik". Die
Erklärung, wie wir zu dieser Formsymbolik kommen, und
in welcher Weise sie sich äußert, sowie die aus ihr sich
ergebenden Folgen si'ir das Berständniß des Wesens des
Künstlers nnd der Knnst bilden den Jnhalt der Schrift
Robert Vischer's.

Die Untersuchung beruht somit auf einer Voraus-
setzung, an welcher der Verfasser weiter nicht zweifelt,
die er wie ein Axiom hinnimmt und als Ausgangs-
punkt von unantastbarer Gültigkeit benutzt. Wir finden
diese Pietät gegen Vater und System vollständig be-
greiflich; — soll doch gerade die „Formsymbolik" dazu
dienen, den Herbartianern, den Formalisten, klar zu
machen, daß es eine inhaltslose Form nicht gebe. Dieser
Schulstreit geht aber im Grunde die Wissenschaft nichts
an, der es nicht darauf ankommt, ob diese oder jene
Schule Recht hat, sondern darans, was wahr ist. Wir
fragen also einfach: Entsteht das Naturschöne davurch,
daß wir uns mit dem Naturgegenstande verwechseln,
und überall unser Jch wiedererkeimen? Denn in dieser
bcstinimten Weise faßt Robert Vischer jenes „unbewußte
Unterlegen von Seelenstinimungen".

Der Verfasser, der diese Frage bejaht, sucht sie —
und das ist das Neue, wodurch er über die These
seines Vaters hinausgeht und worin überhaupt der
Keim seiner Erklärnng liegt — durch eine Analogie
mit dem Traumleben zu beweisen. Er schließt sich
dabei an Scherner's*) Untersuchungen an. Die
„Selbstvorstellung", welche entsteht, „wenn ich mir inner-
lich meinen eigenen Leib vergegenwärtige", (S. 12)
wird im Traum zu einer „Objektsvorstellung", welche
entsteht, „wenn ich mir einen abwesenden Gegenstand
im Geist vergegenwärtige" (S. 12), und zwar — und
das ist die Hauptsache — bildet sich diese Objektsvor-
stellung als „Spiegelung subjektiver Dispositionen" und
zwar körperlicher: „die von einer Erregung betroffenen
Glieder (resp. Nerven, Muskeln) werden nach Analogie
ihrer Gestaltung nachgeahmt (meistens in vergrö-
ßerter Form) mit Hülfe eines nur annähernd ähnlichen
Objektes. Besonders ist es, wie Scherner an einer
Fülle von Beispielen nachweist, die Vorstellnng des
Hauses und der Haustheile, welche der Traum zur
Andeutung der Körpertotalität wie der Körpertheile zn

*) K. A. Scherner, DaS Leben des Trannis. Berlin,
Schindler'S Verlag. 1861.
 
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