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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1904)
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Batka, Richard: Musikalische Stilmeierei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0032

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Man prüfe auch nach, ob in der alten Dialogoper immer nur
der bloße Zufall bestimmte, was komponiert wurde und was nicht.
Wenn in den Zeiten des Kampfes für das stilisierte Tondrama krasse
Beispiele für die Willkür mancher Komponisten in dieser Hinsicht gerne
hervorgezogen wurden, so ist es jetzt an der Zeit, zu sagen, daß die
Meister dem Gegensatze von Musik und Dialog vielsach auch be-
sondere ästhetische Reize abzugewinnen, daß sie mit feinfühlender Wayl
die beiden Sphären des Tones und des Wortes abzuwägen wußten.
Die Neueren sind oft sogar sehr ersinderisch darin, zwischen den beiden
Welten zu überbrücken. Man beobachte einmal, mit welcher Sorgfalt
z. B. ein Heuberger in seinen Operetten den Uebergang vom Dialog
zum Gesang vermittelt, um einzugestehen, daß auch innerhalb der
„nichtstilisierten" Oper dramaturgisch-technische Fortschritte noch mög-
lich sind. Eine ganz liebenswürdige Gattung, die Spieloper, lebt
mit von dem Gegensatze zwischen Musik und Rede, und niemand wird
zu behaupten wagen, daß die „Weiße Dame" oder „Fra Diavolo"
oder der „Wildschütz" durchkomponiert üsthetischer wirken würden als
in ihrer ursprünglichen Gestalt. Wohin es führte, als man in der
Pariser großen Oper unter dem Zwange des stilgestrengen Hausgesetzes
den „Freischütz" mit Rezitativen aufführte, das hat ja Richard Wagner
selbst mit Schrecken ersahren und mit Humor erzählt.

Was von der Stilgebung überhaupt, aus welchem Grunde in
aller Welt soll das nicht auch von der Stilgebung in historischen
Stilen gelten? Jch kann nicht die kleinste Veranlassung in der Sache
selbst finden, weshalb ein Komponist nicht nach bester eigener Ueber-
zeugung entscheiden soll, ob er sein Werk in einem dieser Stile
durchsühren oder ob er abwechselnd, je nachdem es ihm in der Szene
begründet scheint, von verschiedenen Stilelementen Gebrauch machen
soll. Jn srüheren Zeiten, gottlob, war die Stilmeierei nicht im Schwang.
Es stieß sich niemand, und es stößt sich unter der Macht der Gewohn-
heit auch heute noch niemand daran, daß im Oratorium drei ver-
schiedenen Völkern und Zeiten angehörige Ausdrucksweisen friedlich
nebeneinander wohnen: der ebene Choral, die melismatische Arie und
die polyphone Vokalfuge. Oder man denke an Mozart. Wo er's sür
gut hielt, z. B. im „Figaro", einer der größten einheitlichen Stilisierer
der Musik, schrieb eben er z. B. in der „Zauberflöte" die verschiedensten
Stilarten: in Papagenos Liedchen im Stile der Leipziger Operette,
in der Arie der Königin der Nacht im Stil der italienischen opsra
soria; in Taminos Bildnisarie einen Wagners Nibelungenring „vor-
ahnenden" Sprachgesang, in den Sarastroszenen im Stile von Glucks
„Alceste" und in dem Duo der Geharnischten im Stile der norddeut-
schen Kantoren und Organisten. Oder man denke an Weber, den großen
Stilisten der „Euryanthe", der im „Freischütz" dicht neben schlichte
Volksweisen so ganz „moderne" Sachen wie Aennchens Erzählung oder
gar die Wolfsschluchtmusik hinstellt. Man dars sagen, daß die Frei-
heit, aus verschiedenen Stil-Vorratskammern zu schöpfen, geradezu ein
Merkmal und Vorrecht der deutschen Volksoper bildete. Wenn aber die
heutigen Vertreter dieser Gattung das nämliche tun, geht unsern Mer-
kern schier die Kreide aus.

Brahms meinte einmal zu einem, der auf die Aehnlichkeit eines



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