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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1904)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Musikalische Stilmeierei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0033

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Motivs seiner ersten Symphonie mit einem aus Beethovens „Neunter"
aufmerksan! machte: „Das hört jeder Esel." Er wollte damit offenbar
sagen: diese Aehnlichkeit sei hier völlig Nebensache, denn auf die Ver-
arbeitung, nicht auf das Thema käm' es hier an. So gehört auch
gar kein besonderer Scharfsinn dazu, um zu hören, wenn die neueren
Pfleger der Volksoper, Humperdinck, Kienzl, Leo Blech, Siegfried
Wagner usw. volkstümliche und symphonisch-dramatische Motive zu
verbinden suchen. Es fragt sich dabei immer von Fall zu Fall, ob
dieses Verfahren der schwächliche Kompromiß eines Eklektikers ist, der
das Moderne nicht lassen und das Volkstümliche nicht entbehren kann,
oder ob es einem unwillkürlichen künstlerischen Streben entspringt.
Humperdinck läßt den Dialog als ausdrucksvolles Parlando über einem
symphonischen Orchester sich abwickeln, aber wenn seine Personen Lie-
der singen, dann singen sie wirkliche, geschlossene Melodieen. Blech
lüßt — entsprechend dem Shakesperischen Vorbild — Leute von zu-
sammengesetztem Seelenbau in freiem, modernem Stile sich äußern,
schlichte Menschen aber aus dem Volke werden durch volkstümliche und
symmetrische Melodik charakterisiert. Auch das ist doch — genau be-
trachtet — nicht Stillosigkeit, sondern gerade Stilisierung. Wir hören
Hochdeutsch und Mundart der Musik. Selbst Richard Wagner unter-
scheidet in seinem stilisiertesten Werke die Helden Tristan und Jsolde
und das Dienerpaar Brangäne und Kurvenal deutlich durch chro-
matische und diatonische Musik. Das Einheitsmoment liegt, außer in
der folgerichtigen Durchführung eines solchen Dualismus, in der
gleichen technischen Behandlung beider Elemente und in der Persön-
lichkeit des Komponisten, also in Dingen, die unglücklicherweise nicht
„jeder Esel" hört.

Nochmals verwahre ich mich dagegen, zu einer Razzia gegen
den Stil blasen oder gar den Stil selbst als ein wesenloses Phantom
hinstellen zu wollen. Wagners Pariser Tannhäuser bleibt mir be-
denklich, nicht weil zwei Stile nebeneinander stehen, sondern weil diese
Zweiheit nicht im Drama, sondern in verschiedenen Entwicklungs-
perioden des Meisters ihren Grund hat und weil sie einen Bruch
in die Charakteristik bringt. Dieselbe Person, Tannhäuser, äußert sich
im Pariser Venusberg auf eine ganz andere Weise als im weiteren
Verlaufe der Oper. Aber man hat kein Recht, ein Kunstwerk „stillos"
ausschließlich schon deshalb zu schelten, weil es keinen der histo-
rischen Stile von Anfang bis zu Ende durchführt. Gerade in
solchem Verzicht auf Gleichmäßigkeit kann vielmehr wiederum eine
besondere Art der Stilisierung aus dem Gegenstande, aus der Sache
heraus liegen. Solange sich unsre Musikästhetiker und Rezensenten
nicht entschließen, daraufhin von Fall zu Fall zu prüfen, solange sie
mit dem äußerlichen Schema derartige Organismen messen wollen,
werden sie für das tonkünstlerische Schafsen der Gegenwart mehr eine
Belästigung als eine Förderung bedeuten.

Werfen wir noch einen raschen Blick auf die Symphonie. Hier
wurde seit Beethovens Neunter der bisherige instrumentale Einheitstil
durch Abwechslung mit vokalen Ausdrucksmitteln durchbrochen, z. B.
in Liszts Faust- und Dantesymphonie. Jn neuester Zeit ist Gustav
Mahler auf diesem Wege sehr beherzt fortgeschritten, Klose, Nicods





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